den tag abgeben an andere schweigend sich selbst zuhören mit geschlossenen augen sich selbst betrachten
lernen die wahrheit von der wirklichkeit zu unterscheiden - endlich frei sein
das unendlich viele und unsagbar leere gerede ist das gefängnis und die einsamkeit ist ein schloß
hände _____________________
meine haare sind ein nest für deine hände und meine haut ist die promenade für ihr flanieren
meine arme spüren den festen griff und meine augen sehen die richtung die sie zeigen
wieviel hände brauchst du um mich zu halten? wieviel hände habe ich dir schon abgeschlagen?
blick aus dem fenster _________________________
enttäuschung auf graue mauern geschrieben - kratzspuren von fingernägeln im verputz
ausdruckslose gesichter spieglungen in fensterscheiben - unterbrochen durch sonnenreflexe einziges licht
lärm hinrichtung von wahrnehmungen - alle gehen durch schleusen
an den gullis werden leichen angeschwemmt (Foto: Venedig)
angst ______________________
ich habe keine angst vor dem was mir angst machen sollte:
dunkelheit fremdheit ungewissheit unsicherheit trauer und tod
sondern mich ängstigt euere sicherheit selbstverständlichkeit oberflächlichkeit ordnung und klarheit euer selbstbetrug
das ist es was mir angst macht: euer selbstbetrug und euer glaube daran
draußen vor dem fenster _____________________________
draußen vor dem fenster im abgerutschten sicherheitsgefühl noch die verkrusteten überreste zwischen den steinen einen fuß vor den anderen setzten
zwischen den schritten denken natürlich gibt es überall ein ziel also nichts wie hin mal sehen wer dort ist
hinter den wänden ist es dunkel dort wo die mauern feucht sind gedeiht das moos außen und innen die existenzangst
auf den straßen schlagen sie auf die gescheiterten versuche vogel zu sein doch da hat es sich schon gelohnt
für diesen einzigen kurzen augenblick (Foto: bei Paestum/Italia)
müdigkeit _____________________
in klaren nächten schmeckt die luft nach pfefferminze und hat ein gesicht - es könnte lächeln
der himmel schickt seine krähen in den wald und wartet - vereinzelt hört man rufen
die schwerelosigkeit wirft ihren ballast ab - alle zehn sekunden stirbt ein mensch
schlaf
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steig hinab in die einsamkeit des schlafes -
ob du einen körper spürst ob`s dein eigner ist ob`s ein andrer ist.. du bist allein.
ob du in deinen träumen mordest, ob du liebst... das ist egal, du bist allein.
(Foto: Main bei Stockstadt)
morgen ______________________________
im treppenhaus steht noch die gleiche luft wie gestern abend - schnell hinaus der tag klirrt leise wie chinesische türglocken
tief durchatmen jetzt losrennen nach links nach rechts nach irgendwo - den wind um die ohren wehen lassen das erste lächeln gelingt
beim laufen trete ich gegen steine die wie glasmurmeln davonrollen - aus den fenstern wehr der geruch von schlaf und frischem kaffee - ich darf jetzt nichts überstürzen...
frühling
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bald wird er aus der emigration fliehen, der verlorene sohn, wird sie ihr schattenspiel beenden, die geliebte tochter. der pulsschlag der luft wird freier sein, die nächte kürzer und dunkler, die lichter seltener, die träume... erwartungsvoller?
die kalten tage hängen wie welke blätter an den pfeilern der hölzernen brücken, die schritte dröhnen freundlicher. kralle deine hände in das gras, dann kannst du es wachsen fühlen.
jetzt gilt es einen teil der gefühle mit hinüber zu retten, an das andere ufer, das ferne, schnell näher kommende, das fremde. unsere chancen werden mächtig wachsen.
du unbekannte der champagne, du göttliche eines heidenvolkes, du großer weißer wolkenvogel, laß deinen atem regnen und versuche endlich, endlich mir zu begegnen.
dann sind wir alleine bitte, laß deine tücher fallen, hab keine angst, ich möchte dir meine träume auf den körper malen. für unsere große seiltanznummer werden die anderen eines tages einen horrenden eintrittspreis bezahlen.
der weite blick _______________________________
mit den letzten sonnenstrahlen hinweg über den buchstabenhorizont meines schreibtisches schweben
flucht in die dimensionen des noch nicht gesagten des noch nicht gedachten
die möglichkeiten sind grenzenlos die chancen hundertfach
noch lebe ich aus meinem repertoir jedes für und wider wurde irgendwann bereits durchkalkuliert
doch der absprung ist vorbereitet es bedarf keines stoßes mehr
endlich will ich wieder den weiten blick (Buchtitel: Zeichnung Sabine May)
unwirklichkeit ___________________________
jeder schritt wird selbstverständlich und hat eine richtung
die lügen sind zu stein geworden und längst nicht mehr so falsch um für wahr gehalten zu werden
die oberflächlichkeit ist in den untergrund gegangen - mitgegangen mitgehangen
jeder schritt hat seine richtung
schweigen __________________________
(oder: damals in madeira)
ein leerer raum füllt sich gesichtslose körper plastikhaut sauerstoffzelt ansichts-karten live-show wohin sehen ohne augen?
zellteilung: aus eins mach zwei mach vier mach acht mach sechzehn ...
ein großer raum füllt sich gläser leeren sich wasserspülung blutwäsche geldwäsche...
worüber reden ohne zunge in madeira ? (Foto: in der Toscana)
alles fest im griff _________________________
die straßen sind sauberer als die füße und die fahnen sind sauberer als die unterhosen
die gesetze sind fester als die grundsätze und die bäuche genauso dick wie die geldbörsen
freitags der alte samstags gottschalk sonntags gott ... alles fest im griff
festere griffe als händedrücke zahlreichere worte als gedanken und drei mal täglich stuhlgang
nach der tagesschau beginnt die nacht und die angst vor dem morgen
Altiplano / Chile
die toten hunde werden immer seltener ________________________
wir vertauschen herzlichkeit mit herrlichkeit und liebe mit lüge - der weite blick verfängt sich in perfekten gittersystemen die das überleben erzwingen wollen
eine hässliche schönheit siegt über eine schöne hässlichkeit - was bleibt ist die flucht heimkehr in die fremde
sie sind stolz auf ihre ordnung und ihre klaren gedanken für die sie danken - täglich ... kläglich
sie würden sich sogar auf die schultern klopfen - mit ihren fetten händen auf ihre hängenden schultern - wenn sie sich nicht dauern streicheln müßten
Venedig/Italia
das letzte wort _________________________________________
die einen werden amok laufen andere kriege planen viele werden sich hinterlistig ermorden wieder andere zu gott beten - manche werden sich sogar ihrer stereoanlagen bedienen andere ihrer autohupen ein paar fanatiker werden in der ostkurve brüllen diverse andere werden flugblätter verteilen einige um sendezeiten in fernsehen und hörfunk kämpfen - man wird hausfassaden beschmieren und pflastersteine bemalen die komponisten werde eine melodie erfinden und in den discotheken wird man dazu tanzen es werden kinder und schiffe danach getauft und man wird ihm die schuld am verregneten sommer geben - politiker werden behaupten es schon immer gewußt zu haben versager werden ihm die schuld an ihrem versagen geben die linken und die rechten werden es sich gegenseitig in die schuhe schieben und kinder werden es in den schulen auswendig lernen müssen - die wissenschaftler werden nach der herkunft forschen die taubstummen sich zu tode ärgern bankdirektoren es in safes verschließen diebe werden versuchen es zu stehlen sammler zu sammeln maler zu malen fotografen zu fotografieren - hausfrauen werden versuchen es zu kochen oder zu waschen rentner werden es im park spazierenführen wollen und playboys verspielen - die liebenden werden es nicht brauchen die hassenden nicht finden und überhaupt können die meisten menschen nichts damit anfangen.
leichtes spiel ____________________________
wenn du rufen würdest wäre deine zarte stimme stark und ich würde bedingungslos folgen
manchmal habe ich sehnsucht nach ihr nach dir nach deiner nähe nach deinem körper dem fremden und doch so vertrauten
ich bin auf deinen klippen gestrandet und du weißt nichts davon - wenn du mich nicht verstehst dann ist das deine art zu verstehen
dir verzeihe ich alle fehler und alle schwächen - sie machen dich unendlich stark
du hättest so ein leichtes spiel mit mir (Foto: Ephesos/Türkiye)
an ein junges mädchen _____________________________
deine schönheit ist dein handicap deine jugend fordert dich heraus und du bist schwach
dein körper soll auf andere wirken und du kennst ihn noch nicht einmal selbst
du hast lust am spielen wie ein kind und bist ein kind
ein schönes kind doch dazu kannst du nichts wahrscheinlich weißt du es noch nicht einmal
und andere werden es dir niemals ehrlich sagen - gib gut acht auf dich
an der Adria (Link: bei Venedig)
ich freue mich still ______________________
ich freue mich still über den flug der möwen und den wein am abend ich berausche mich an einem weiten blick und einer nahen schönheit - das laute lachen und das reden halten überlasse ich jenen die nichts zu sagen haben
ich freue mich still über verschlafenen tage und durchwachte nächte ich sehne mich nach gemeinsamkeit im schweigen und in zarten umarmungen - das unaufhörliche jagen nach scheinbaren abenteuern überlasse ich jenen die nicht müde werden können
ich freue mich still über eine versehentliche berührung und den satz bleib doch noch ich wünsche mir viele träume und vor allem jemand dem ich sie am morgen erzählen kann - das ewige leben überlasse ich jenen die es zu brauchen glauben weil sie sonst nicht leben könnten
( Patagonia/Chile )
(Link: Volcan Hudson/Patagonia-Chile)
momentaufnahme _________________________________
pfirsichblüte in griechischen plantagen, das anhalten auf heißem asphalt, den duft des meeres ahnen.
dieser moment, dieses tiefe atmen...
jetzt, in diesem augenblick wie ein totgetretener käfer, lebe ich davon, daran denken zu können.
auf dem weg zu neuen erfahrungen sind die alten erkenntnisse die taufpaten.
wer weiß denn schon die wahrheit der pfirsichblüte im april?
zeit des schweigens _________________________
ich habe lange geschwiegen, nicht weil ich so wenig zu sagen gehabt hätte sondern weil ich so viel zu schweigen hatte.
ich bin stiller geworden, nicht resigniert, sondern schauend, lernend, staunend und verstehend. und kompromißloser bin ich auch geworden bei dem was ich tue und bei dem, was ich nicht tue.
meine zeit ist kostbarer geworden, meine erfahrung und mein wissen sind mein reichtum, mit dem ich sorgfältig umgehe.
ich habe meinen turm verlassen, bin auf die erde zurückgekehrt, um auf ihr zu neuen höhen empor zu steigen.
auf der suche bin ich nicht mehr nur nach den grenzen des geistes, sondern auch des körpers.
und etwas einsamer bin ich geworden, sparsam und zurückhaltend mit den menschen, mit denen ich mich umgebe. aber auch freier und – manchmal – glücklicher.
auch müder bin ich geworden, müde vom kämpfen und vom fliehen. und müde der vielen narben, die ich mir so oft selbst zugefügt habe.
doch ich bin auch stärker geworden, in der zeit des schweigens. ich bin zurückgekehrt in die welt der worte und der berge, die welt der menschen und der träume,
zurückgekehrt in die welt der möglichkeiten, der freude und vielleicht auch der liebe.
Monte Argentario/ Toscana (Link: Levanto/Liguria)
"Lernen die Wahrheit von der Wirklichkeit zu unterscheiden."