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(...auf einer geschlossenen psychiatrischen Station)




dunkelheit
_____________________
 

wenn du versuchst
deine augen
an die dunkelheit
zu gewöhnen
ist das der erste schritt
zur einsamkeit

die schatten
die dich bedrohen
geben dir
geborgenheit
deine angst
hält dich am leben

die ketten          
an deinen füßen
bewahren dich
vor fehltritten

die dunkelheit
die in dir lebt
ist die gleiche wie die
in der du lebst

 

 

 

drei stunden
____________________
 

ein gespräch
dauert drei stunden
dann sind die
gesprächspartner
tot oder
eingeschlafen
oder wenigstens
die worte sind es

in bussen und bahnen
schweigen sie
vierzig minuten
und verschlafen
die haltestellen

auf die frage
wie geht es?
antwortet immer einer
es geht so oder
immer so weiter oder
gestern gings noch
und darauf folgt ein
blödes grinsen

ein gespräch
dauert immer drei stunden
keine minute länger
keine minute weniger -
soviel zeit
braucht der eine um einen
standpunkt klarzumachen
und der andere
um einen einzunehmen

drei stunden
das ist die zeit
die eine rakete
von punkt A nach B
benötigt
die zeit in der
ein spanferkel gar ist
und das schlangengift XY
zum tode führt

eine nacht hat
drei mal drei stunden

 

 



blick zur tür                         
_______________________ 

 
immer wieder
blickst du zur tür
erwartest ein gesicht
eine hand oder
eine vorbeiziehende
rauchwolke -

minute um minute
stunde um stunde
kein gesicht
keine hand
kein rauch -

eine leere tür
geöffnet
bereit zum
hereinkommen
und hinausgehen

sich nähernde schritte
verklingen
deine hand hast du
zum schutz erhoben
und der rauch ist
von deiner zigarette

was ist los?
ignoriert man deine
ängste und dein
verlangen?
hast du nicht ein
recht darauf
daß jetzt etwas geschieht?

etwas das deine
anwesenheit
rechtfertigt
etwas zum
zurückschlagen

wenn sich keine
angriffe
gegen dich richten
mußt du dich
gegen dich selbst
verteidigen -
das ist viel schwerer

immer wieder
blickst du zur tür
doch nichts geschieht -
niemand trachtet dir
nach dem leben
keiner läuft amok
nicht einer raucht
auf der toilette

während du verzweifelst
schnarchen sie
wälzen sich im schlaf
hin und her
und warten daß du
vom stuhl fällst

 




geisterstunde
___________________
 

es knarrt im flur
schritte
jemand stöhnt
im schlaf
eine neonröhre brummt
die motte am fenster
ist eingetrocknet -
wo bleibt die glocke?
schlägt nicht immer
big ben
zur geisterstunde?

die toten seelen
treffen sich
in den toten mauern
und ich suche
nach dem unterschied -

die schönheit ist tot
und tritt auf wie
ein greises nummerngirl
die freude ist ein
blasser platzanweiser
und die liebe
wird noch immer
falsch verstanden

alle sind sie da
jene die einen schritt
zu weit gingen
jene die den großen
traum träumten
oder jene die ihrem
bademantelgürtel
unterlagen

zum tanzen haben sie
keinen grund mehr
hatten ihn nie
und gehen stumm
im flur auf und ab
jede nacht
schauen zu mir herein
mit ihren leeren
augenhöhlen
und suchen nach dem
unterschied

regungslos starre ich
auf gesichter
die an den wänden
sichtbar werden
sich aber als schmutzflecke
herausstellen

jemand stöhnt im schlaf
oder war das ich?
jetzt hinausgehen
auf und ab
in dem langen
leeren flur







nach der nachtwache          
______________________
 

ruhe
sich beruhigen
entspannen -
immer wieder
zu sich selbst sagen:
jetzt tue nichts
mache nichts
sage nichts
sehe nichts
höre nichts
denke nichts -
nichts nichts nichts
jetzt tue endlich nichts
immer wieder
zu sich selbst sagen

zu sich?                              
sich bin ich -
man sagt zu sich
ich sage zu mir
wir sagen zu uns
du sagst dir ...
das hätte man uns
vorher sagen sollen
wenn man uns das
vorher gesagt hätte

nichts ...                                   
nichts wäre geschehen
man hat nicht ...
nichts gesagt
nichts gesehen
nichts gehört
nichts gedacht -
man hat sich nichts
dabei gedacht

schritte
auf und ab
innen und außen
vor allem innen
auf und ab
ich lausche ...
diese ruhe ist
unerträglich
eine geisterstunde
für kranke geister
einen halben schritt
über dem boden schweben
könnte jetzt schon
die erlösung sein

und wieder
auf und ab
schritte  herzschläge
hammerschläge
auf den boden genagelt
keinen zentimeter entfernt
von klebrigem schmutz
hier fällt man nicht
so hart - deshalb
hier fällt es einem leicht
nicht zu fallen
hier wird man nicht
fallengelassen
nur ein kartenhaus
fällt zusammen

worte
wenn man im schlaf stöhnt
entsteht ein wort
reden  stöhnen
gespräche  schmerz
dialog der
kriegsführenden parteien
endlich kann man
darüber reden
darüber kann man
doch reden
das mußte doch mal
gesagt werden
das hat nichts zu sagen
das war nicht so gemeint

wir meinen immer
etwas anderes
ihre meinung bitten wir
an der pforte
abzugeben
zwischen den worten
entstehen pausen
da kann man die
zahnlücken sehen
schlechter atem
verleiht den worten
einen nachhall
der verklingt jedoch
an den nicht zu
öffnenden fenstern

jetzt ist es vorbei
der fahle morgen
kommt zur
notaufnahme
was bisher blaß war
entpuppt sich als
farblos
jede handlung
erhält jetzt eine
andere bedeutung -
mein zittern bedeutet
daß ich friere
und das flimmern
vor meinen augen
ist die müdigkeit

ich muß mich jetzt
entspannen
innere ruhe finden
es ist vorbei ...
mein maßstab darf
jetzt wieder
qualität sein
mein gefühl wieder
sensibel
mein umgang wieder
anspruchsvoll

ich habe es
in der hand
ich habe mich
in der hand
es gibt keine
urinflecke mehr
in den polstern
keine schmutzränder
unter den fingernägeln
es gibt
endlich
wieder
ruhe -
nichts als ruhe
und plötzlich
kann ich wieder
tief atmen

 


 


einschlafen
______________________ 
 

einschlafen
bis hundert zählen
bei siebenunddreißig
läuft das wasser
von den wänden
licht an
im spiegel kann
ich mich von hinten
betrachten -
nur nicht aufgeben

einschlafen
zählen ist zwecklos
erzählen nicht möglich
hoffnungslos
wieder verwelkt
eine stunde
ich bin in die
netzte gefallen -
wieviel wiegt die
schwerelosigkeit?

einschlafen
morgen gibt es
noch eine nacht
und gestern
und übermorgen
tag und nacht
ist es nacht -
man schlägt mir
mit neonröhren
auf den kopf
und wenn ich schon
nicht einschlafe
dann werde ich
wenigstens
bewußtlos




_____________________________________________________________________

_____________________________________________________________________









Gedanken über vergessene Begegnungen




ausgerechnet du
______________________________________
 

da klammerst du dich nun
mit deinen kleinen händen
an das brückengeländer
sechzig meter über
blühendem löwenzahn
und starrst mich an -
ein stummer hilferuf
große verweinte augen
erwartungsvolle ...
und dann begegnest du
ausgerechnet mir

ich habe mich auf                                                 
den asphalt gesetzt
er ist noch warm von der sonne
stecke mir eine zigarette an
und beobachte zwei ameisen
die sich bemühen ein stück
von einem blatt vorbei an vielen
gleichartigen blättern zu transportieren -
dies ist ein wichtiger moment
für dich ...  ganz gewiß
du bist am ende
an irgendeinem ende
und dann begegnest du
ausgerechnet mir                                 


vielleicht erwartest du hilfe
nein nein - nicht springen
soll ich vielleicht schreien oder:
so schlimm wird es doch nicht sein
laß uns mal darüber reden -
doch nichts dergleichen
ich sitze nur da und schaue dich an
ich kann dich gut verstehen
macht dir das angst?
hast du dir das nicht immer gewünscht
jemand der dich versteht
der dich tun läßt was du willst
also was paßt dir daran nicht?
du wolltest doch springen
und dann begegnest du
ausgerechnet mir

jeder andere würde vielleicht
versuchen dich zu retten
ich überlasse dich dir selbst
wirfst du mir das vor?
ich habe kein recht auf dich
und will mir keines anmaßen
deine gründe kenne ich nicht
die kennst nur du
und das ist gut so
vielleicht wird sie auch
nie jemand erfahren -
man wird rätseln und vermuten
und mich fragen
hat sie noch was gesagt?
kann sein sie liebte blühenden löwenzahn

es hätte so ein schöner tag
werden können
doch dann begegnete ich
ausgerechnet dir


 




eine brücke hat drei richtungen
_______________________________________
 

das ist so ein verlorener moment
auf dieser brücke
braun und schwer schleppt
sich der fluß dahin
gesäumt von rostenden eisenbahnwagen
bewacht von verlassenen lagerhallen

der sonntag ist ein fremdgänger
im hafen
wenige kilometer flußaufwärts
ist alles zu ende

eine frau kommt mir entgegen
einsam hässlich und alt
zwischen kränen und lkw-anhängern
hat wohl bei den arbeitern
in einer bude geschlafen
der rauch ihrer zigarette
folgt ihr zögernd

für wenige minuten sind wir
auf dieser brücke unter uns
ich hefte meinen blick
auf ein treibendes stück holz
und höre ihre schritte
und rieche den alkohol

so sieht ein verlierer aus
denke ich während ich ihr nachschaue
warum springt sie nicht
über das geländer
was hat sie noch zu erwarten?
der einsamkeit zu entrinnen
bleibt doch nur ein weg

langsam verklingen ihre schritte
am ende der brücke
bleibt sie stehen
und dreht sich um
ich erschrecke
wir sehen uns an
dann geht sie weiter

am abend erzählt sie
irgendwelchen männern
in irgendeiner bude:
heute habe ich einen mann
auf der neckarbrücke gesehen
der sah so traurig aus
als wolle er hineinspringen



 
 





der spaziergang auf dem brückengeländer
_______________________________________
 

langsam einen fuß
vor den anderen setzen
jeder schritt will überlegt sein
den blick gerade aus -
vierzig meter tiefer
die harte realität

das hier ist nicht
wirklichkeit
dieser spaziergang
auf dem brückengeländer -
das ist fanthasie
ein rausch
wahnsinn...

dabei stehen die chancen
nicht schlecht
ein geländer hat zwei seiten
du kannst dir die richtung
deines fehltrittes
aussuchen

du spürst ein glühendes eisen
durch die schuhsohle
scheinst bei jedem schritt
festzukleben -
der wind zerrt an deinen kleidern
und deinen nerven

du narr - warum
hast du dich darauf eingelassen?
wem willst du etwas beweisen
und womit?
mit dem tod
oder dem leben?

wie lange mußt du
noch laufen?
welche richtung
führt schneller ans ziel?
was ist das ziel
und was der lohn
wenn du es erreichst?

wird dir jemand anerkennend
auf die schulter klopfen?
werden dich hübsche mädchen küssen
oder wird man sekt über dir ausschütten?
wird man dir die seligkeit versprechen?
zum donner...
was erwartest du?

werden nach dir
millionen andere
über dieses geländer laufen
oder sind sie es schon vor dir?
wie weit ist es noch?
geht dir die kraft aus
fangen deine knie an zu zittern?

mein gott
wieviel kraft gehört
zum laufen?
da kommt dir doch tatsächlich
jemand entgegen
einer wie du
ihr starrt euch an
und kein weg führt
aneinander vorbei



 

  






der himmel aus gewölbtem beton
______________________________________
 

er lebt unter einem himmel
aus gewölbtem beton
und spürt in sich
etwas von dem stillen
mittelgebirge
und etwas von dem
rauschenden meer

dies ist sein fluß
der ihn träumen läßt
der ihn erfrischt
und der ihn eines tages
mit sich nehmen wird
so wie er ihn einmal
hier angeschwemmt hat

dies ist sein fluß
und er ist ein teil von ihm
als kind hat er in ihm
das schwimmen gelernt
und später hat er junge mädchen
darauf spazieren gerudert
und zuletzt die frachtschiffe
entladen - und getrunken -
und geangelt - und geträumt

dies ist sein fluß
und der mond und die sonne
sind schon tausend mal
darin versunken
und einsame alte frauen
sind in ihm vorbeigetrieben worden

er hat diesen fluß
niemals auf einer brücke
überquert und doch
kennt er beide ufer -
das arme und das reiche
das gute und das schlechte -
jeder fluß ist ein grenzfluß
und dies ist sein fluß
und er ist ein teil von ihm

kinder werfen steine hinein
oder ertränken katzen darin
kraftwerke heizen ihn auf
fabriken verschmutzen ihn
und die fische treiben
mit dem bauch nach oben

in diesem sommer
sind die letzten träume
ins meer gespült worden
bis auf einen -
er will sich auf den weg machen
zur quelle
um im herbst dort zu sterben

dies ist sein fluß gewesen
und beide sind sie alt und krank
an der welt und der zeit
und das leben findet
anderswo statt

im nächsten jahr werde ich
ihn nicht mehr sehen
hätte ihn ohnehin nicht erkannt
unter meinem himmel
aus gewölbtem beton



 

 

 

                                   ...   ...   ...




begegnung

 
wir sind uns begegnet           
ohne uns zu sehen
wir haben die gleichen
schmerzen empfunden
und über die gleichen
freuden gelacht
ohne voneinander
zu wissen

uns bedrücken
die gleichen ängste
und die hoffnungen wachsen
an der gleichen stelle
wir bedienen uns
der gleichen sprache
ohne miteinander
zu reden

wir haben die gleichen
verletzlichen körper
angefüllt mit der
gleichen sehnsucht
nach leben
und nach liebe
wir haben die chance
uns noch einmal
zu begegnen -
laß sie uns nützen


wir haben die chance uns noch einmal
zu begegnen -
laß sie uns nützen !

(Vielen Dank an Sabine für Mitwirkung bei den Fotos) 




_____________________________________________________________________

_____________________________________________________________________






bist du ein stück        
vorausgegangen
oder bin ich
zurückgeblieben?
habe ich dich verloren
oder du mich
oder hat sich nur etwas
zwischen uns
geschoben?

zwei sich voneinander
entfernende ufer
du auf dem einen
ich auf dem anderen
und dazwischen ein
immer größer werdendes meer
zwei immer kleiner werdende gestalten
immer kleiner werdende hoffnung -
keine enttäuschung keine lügen
nur ein kleiner werdendes glück

zwei sich voneinander
entfernende ufer
du auf dem einen
ich auf dem anderen
und dazwischen ein
immer größer werdendes
meer

vier augen
auf einem sich
entfernenden horizont
nichts um sich zu retten
viel raum zum ertrinken
aber auch ein endloser himmel
und letzten endes ist auch die erde nur rund.

zwei sich voneinander
entfernende ufer
und dazwischen
tief unten
ein grund


(für Sabine  -   aus der gleichnamigen Textsammlung)

(Link: YouTube: André Heller - Wia mein Herzschlag...)


(siehe auch: "Texte über die Zweisamkeit")







meine liebe Freundin...

____________________________________________

meine liebe freundin,
ich habe dich begleiten dürfen
hinunter in die abgründe
und vielleicht auch manchmal
vor dem stürzen bewahren können.

ich habe dir nahe sein dürfen,
auch in zeiten, wo du die nähe kaum und
das alleine sein überhaupt nicht ertragen konntest
und manchmal ist uns beides
dennoch gar nicht so schlecht gelungen.

aber ich habe auch die freuden
mit dir teilen dürfen
und an den zahlreichen schönheiten
deines lebens teilhaben können,
die auch im dunkeln unübersehbar waren.

ich habe von dir lernen können,
wie es ist, wichtig und ernst genommen zu werden
und andere wichtig und ernst zu nehmen,
was es heißt, aufmerksam zu sein
und nicht zu verzweifeln.

manchmal glaube ich daran,
dass zwei paralellen sich dennoch
irgendwann in der ferne berühren,
auch wenn die geometrie
etwas ganz anderes behauptet.

(für Sabina)



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Auch die enge Verbindung zu Wien fällt in die Stuttgarter Zeit:








Fünf Tage in Wien                                             
                                               (von Martina Stockburger 1985)

 
Wien hat sich für mich
in den Ausnahmezustand versetzt
und als ich in die Stadt kam,
in dem Moment, als ich ihre Luft einatmete,
nahm sie mich mit hinein,
in diesen Ausnahmezustand.
Ich war gefangen in ihrem Bann.
Diese Stadt hat ihre eigenen Gesetze,
Einsamkeit und Tod
und diese unbeschreibliche Art von
Gleichgültigkeit und Ergebenheit.

Ich wusste, diese Stadt
verweigert sich mir
und meinen Schwierigkeiten,
meinen Unklarheiten,
und ich musste mich ihr fügen.
Ich hatte nicht einmal wählen können,
ob ich mich ihr hingebe
oder nicht.

Fünf tage war ich niemand,
hatte keinen Namen, kein Gesicht,
keine Identität.
Ich war nichts als nur ein
willenloses Etwas, das fühlte,
als ob es zum ersten mal fühlte.
Wien nahm mich bei der Hand,
schaute mich an und forderte,
forderte erbarmungslos
ohne mich zu zwingen.
Wien forderte mich zum fühlen.

Die Wärme der Sonne,
den Staub der Straßen,
die Schönheit des Grases,
die Mächtigkeit der Gebäude.
Wien ließ mich die Liebe,
den Hass, den Zorn,
die Traurigkeit,
das Leben und den Tod
spüren.

Ich fühlte ohne Vorurteile,
ohne Erklärungen,
ohne Bedingungen.
Ich fragte nicht,
ich dachte nicht,
fünf Tage gab es keine Gründe
zu leben.
Mich gab es nicht.

Ich hatte mich draußen
vor der Stadt gelassen.
Und als die Zeit um war
und Wien mich wieder frei gab,
da kam ich vor die Stadt
und nahm mich genau so wieder
in Empfang, wie ich mich
zurückgelassen hatte.
Und das war grausam.

(cop.by Martina Stockburger)







die reise nach wien         

 
wien, ich komme,
du brauchst dein lachen
nicht mehr mit tränen zu tarnen
und dein weinen nicht mehr zu verstecken.

reiche mir deine rauhen hände
und nimm mich in deine knochigen arme,
deinen müden körper drücke
fest an meinen müden körper,
so geben wir uns kraft und wärme.

lass uns diese traurigen lieder singen,
die vom tod handeln, aber das leben meinen.
diese schönen lieder von der vergänglichkeit,
die du mit der ewigkeit lügen strafst.

lass mich durch die kleinen düsteren gassen gehen,
die die großen paläste bewundern,
in denen aber schon ein lächeln oder
ein leuchten in den augen ein ereignis ist.
lass mich über die prachtvollen alleen
und durch die großen paläste schlendern,
die die kleinen dunklen gassen deshalb beneiden.

lass mich deine luft atmen,
deinen herzschlag spüren.
wien, du großmütterliche freundin,
ich bin zu dir zurückgekommen.


(für martina)








wo sind sie alle hin?     

 
wo sind sie alle hin,
die alleinreisenden?
die tagsüber den stadtplänen folgend
zwischen parks und palais
unterwegs waren?
deren blicke staunend und schweigend
auf bauwerken und denkmälern hingen?
die kamen, sich auf bänke setzten,
bücher lasen und weitergingen,
die in cafes an kleinen tischen
postkarten schrieben?
die selbst von den fiakerkutschern
nicht angesprochen wurden und
bögen um omnibusparkplätze schlugen?

wo sind sie alle hin,
auf die nur kleine einzelzimmer
in pensionen warten?
die alles was sie gesehen und erlebt haben
nur mit sich selbst ausmachen können?
die vielleicht in der erinnerung
einen halt gefunden haben und
im glauben an die zukunft?
die sich in der stadt verlaufen
aber niemals verloren haben?

wo sind sie alle hin,
die in ihrer einsamkeit
eine größere gemeinschaft bilden,
als all die gruppen- und paarweise
auftretenden touristen?
ich danke all jenen,
die mir begegnet sind,
alleine und einsam wie ich -
aber glücklich.

ich verbringe in gedanken
mit euch die nächte
in eueren kleinen zimmern,
abseits von abenteuern,
aber immer bereit für sie.
egal wo ihr seid,
ich bin bei euch und weiß,
ihr seid bei mir.

 
(aus: die wien-odyssee 1986)





(Fotos aus Wien, Link: Zentralfriedhof)



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"Ich möchte so gerne, den letzten Schritt zum Wahnsinn gehen.

  In jene unbekannte Ferne, wo die Fanthasien Schlange stehen."

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(sämtliche Texte und Fotos: Cop. by h.lederer)

(Ausnahmen: Text  Fünf Tage in Wien - cop.by martina s.-k.
und Foto  Peter Altenberg - cop.by Historisches Museum Wien/Fischer Verlag)

 
     
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