"Komm gieß mein Glas noch einmal ein, mit jenem billigen roten Wein, in dem ist jene Zeit noch wach, heut trink ich meinen Freunden nach."
(Reinhard Mey)
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Geschrieben
nach dem Lesen eines Zeitungsinserates. Es ging da wohl um ein
Jahrgangs-Klassentreffen. Ich habe das umfunktioniert zu einem Treffen zur
Beerdigung eines Schulkollegen. Ein Liedertext aus dem Jahr 1972. jahrgang 48
als ich vor kurzem in der
straßenbahn
eine alte zeitung fand, sah ich einen artikel, über dem ganz dick gedruckt jahrgang 48 stand.
und weil ich noch ein paar
stationen zu fahren hatte, sah ich mir den artikel doch
mal genauer an.
ich las also weiter, was
darunter stand,
wenn auch viel kleiner,
wir haben ihn alle gut gekannt. er ist von uns gegangen, nur leider halt viel zu früh, jedoch er war unser schulfreund, deshalb vergessen wir ihn nie.
und darum wollen wir uns treffen, schon morgen und zwar so gegen drei. auf dem stadtfriedhof sind wir alle bei seinem letzten weg dabei.
so stand es in dem artikel, der jedem leser die wahre schulfreundschaft
offenbahrt. inzwischen kommt der
schaffner und ich zahle zunächst mal
meine fahrt. (Schaffner gabs damals noch!) dann denke ich nach, was
morgen
auf meinem terminkalender
steht
und sage zu mir, es müßte
doch gelingen, morgen um drei uhr zeit zu
haben um einen freund zu grabe zu
bringen.
es war an einem dienstag da standen sie alle
in schwarz und so vornehm
vor einem offenen grab.
so bunt waren die blumen
und so gefühlvoll die worte,
die der pfarrer dort sprach.
die blonde marianne, die eine bank hinter ihm saß
und die ihm immer half, wenn er seine hausaufgaben
vergaß,
sie steht dort und weint und
draußen vor dem friedhof
wartet ihr mann, bis die sache hier vorbei
ist und er sie mit zum kegeln nehmen kann.
und peter, der dicke, der den schulweg mit ihm
zusammen ging, steht gleich neben robert, der stets ein musterschüler
war.
die beiden plaudern leise über ihren urlaub vom
letzten jahr.
und die kleine susanne,
früher war sie in ihn
verliebt, sie überlegt ob es unbedingt
sein muß, daß sie dem pfarrer eine
spende gibt.
und dort drüber, ach ja
richtig, brigitte,
sie hatte fast täglich mit
ihm streit,
blickt verträumt auf die
blumen
und denkt, das ist mir aber geglückt. sie arbeitet in einem
blumengeschäft und sie hat das grab hier
geschmückt.
franz und heiner stehen ganz
hinten und das hat seinen guten
grund. sie wollen am ende zuerst
den ausgang finden, denn sie haben schon jetzt
einen trockenen mund.
und sie trinken so gerne, wie er es auch oft mit ihnen
tat. sie schulden ihm noch einen
halben,
doch den haben sie jetzt ja
gespart.
aber gisela war immer
vernünftig, sie war die
klassensprecherin
und sie steht auch jetzt
ganz vorne an der gruft.
und matthias, das
rechengenie, steht bei ihr und hält ihre
hand, früher hat er das nie
gedurft.
hartmut spielt nervös mit
den fingern,
denn er hat nur sehr wenig
zeit. und werner, der sportsmann,
blickt zum himmel
und hofft, daß es doch bald
schneit.
die stille angelika, wie
schick sieht sie heute aus,
sie scheint so nachdenklich, doch der anschein trügt. sie beobachtet die enten auf
dem teich,
wo eine bei der landung
durchs wasser pflügt.
was so ein stein wohl
kostet, überlegt sich günther, während er den grabstein taxiert.
und bärbel blickt laufend
zur uhr, damit sie den anschluss an
den nächsten zug nicht verliert.
und thomas ist betrunken,
aus der kneipe hat man ihn
hergebracht.
aber er hat sich ja auch
schon früher nie sehr viel aus
freundschaft gemacht.
yvonne, christina und rosi, aus ihnen werde ich nicht
schlau. genau wie früher in der
schule, so glauben sie auch hier, sie wären auf einer
modenschau.
und richard konnte nicht
kommen,
er hat sich jedoch
schriftlich abgesagt.
er schickte blumen und habe
keine zeit,
weil ein termin den anderen
jagt.
holger blickt betreten zu
boden,
während entfernt die glocken
klingen,
fällt ihm ein, er müßte noch
seine schuhe zum schuster
bringen.
bernd und herrmann scheinen
zu flüstern, daß man den freund nicht so
schnell vergißt.
doch das stimmt nicht, sie
reden darüber, welcher ihrer wagen wohl der
schnellere ist.
und margarete geht schon
früher,
denn sie muß ganz dringend
in die stadt.
er würde es doch sicher
verstehen, weil sie dort ein rendevouz
hat.
waltraud hat in der schule, sehr oft ihn beim lehrer
verpetzt, doch sie hat wegen der
beerdigung
heute sogar ihren freund
versetzt.
jedoch nur um sich mit einem
anderen zu treffen,
der bereits auf dem friedhof
hier steht.
während lothar zum
zigaretten holen
inzwischen zu einem kiosk
geht.
reinhard denkt an den film, den er gestern im fernsehen
sah
und fritz, der
schulschwänzer,
ist natürlich auch heut
nicht da.
und all die übrigen
stehen teilnahmslos herum,
obwohl sie einst seine
schulfreunde waren.
sie denken an alles, nur
nicht an ihn, auch freundschaft stirbt mit
den jahren.
ich wende mich jetzt ab und
gehe,
gebe mir mühe das bild zu
vergessen
und frage mich hat so ein
treffen denn überhaupt noch einen
sinn?
es ist der jahrgang 48, aber
welches jahrhundert,
denn sie sind sich so fremd und ich bin froh, daß ich ein
anderer jahrgang bin.
Die nächsten drei Texte sind aus dem Jahr 1976.Diese Zeit war ähnlich wichtig und ereignisreich, wie zehn Jahre später das Jahr 1986.
für Bärbel (1976)
im süden hat es zu
regnen begonnen, ich habe einen teil
von mir aufgegeben, ihn nach dort
verschenkt und nun habe ich
angst. die kalte zeit wird
allgegenwärtig, besitzergreifend, die einsamkeit
unerträglich beherrschend und der tod
kalkulierbar, fast erlösend. die flucht ersetzt
das suchen nach neuen wegen. ich brauche dich, denn du bist meine
letzte rettung.
du bist meine letzte rettung vor mir selbst und vor der zeit. du bist der lohn für meinen kampf gegen die oberflächlichkeit.
im süden hat es zu
regnen begonnen und ich fürchte
mich davor, dich einmal so
gerne zu haben, dass ich selbst
glücklich bin. und manchmal glaube
ich, es ist schon längst
geschehen. meine ruhelosigkeit
verbietet mir den stillstand und meine
unzufriedenheit das glücklichsein. deine gegenwart ist
ein beitrag für mein überleben, ein unheimlich
wichtiger, denn du bist meine
letzte rettung.
du bist meine letzte rettung
vor mir selbst und vor der zeit.
du bist für mich der rest des traumes
von der insel "zärtlichkeit".
schon heute habe
ich mehr angst davor dich zu verlieren, als mich selbst. im süden hat es zu
regnen begonnen, was heißt das
schon?
Du warst sehr oft meine "letzte Rettung", wahrscheinlich mehr, als du es ahntest. Und ich auch.
Wo magst du jetzt wohl sein? Wir haben uns aus den Augen verloren, ich dich aber nicht aus meinen Gedanken.
In dieser Zeit begannen meine zahlreichen, oft recht abenteuerlichen, Touren durch die Türkei.
für Nevin (1976)
wenn du jetzt
gehst, alleine gehst, dort zu dieser tür
hinaus, dann gib acht, daß
du dich nicht verirrst. die fallen stehen
überall bereit und vielleicht wird
niemand um dich trauern, wenn du darin
gefangen wirst.
die fallensteller
sind in der überzahl, pass auf, weil sie
deine träume mit nadelstichen
attakieren. flieh vor ihnen,
lauf so schnell du kannst, du darfst nicht, so
wie sie, an der
oberflächlichkeit erfrieren.
achte nicht darauf, wie sie die zähne
fletschen und gierig nach dir
schauen. mit vielen händen
greifen sie nach deinem körper und mit vielen
schönen worten schleichen sie in
dein vertrauen.
die messer tragen
sie versteckt, doch wenn du dich
umdrehst sind sie griffbereit und
glitzern scharf und blank. lächelnd werden sie
dich massakrieren, doch hüte dich, von
weitem schon erkennst du sie an neid
und hass und am gestank
du mußt laufen,
bleib nicht stehen, geschenkt wird dir
doch nur der tod und die gewissheit,
daß man dich bald vergißt. doch vorher kommen angst und die verzweiflung und du wirst
erkennen, daß der tod noch lange nicht
das schlimmste ist.
flüchte in dich
selbst und weine, die welt ist krank
und wird an der verlogenheit
noch sterben. es wäre sinnlos ihr
zu helfen, denn du wirst nur
unverständnis und vielleicht ein
müdes lächeln erben.
und wenn du
glaubst, es ist zu viel, leg deine
ruhelosigkeit in meine hände, ich teile sie mit
dir sehr gerne. zusammen sind wir
stärker als die angst und im meer der
zärtlichkeit ertrinken wir und die eiszeit
liegt in weiter ferne.
Wohin der Weg uns hätte führen können, haben wir nie erfahren. Vielleicht kam alles zu früh und zu schnell. Und wohin dein Weg dich geführt hat, weiß ich auch nicht.
(Das Lied von Peter Maffay mit dem gleichen Titel erschien erst 6 Jahre später 1982)
Im September 1976 bin ich in die Türkei gefahren, um meine Freundin dort zu besuchen. Bis an die griechisch-türkische Grenze bin ich fast ohne Pause durchgefahren. Dort fragte mich ein junger Deutscher, ob ich seine türkische Freundin mit nach Izmir nehmen könne, weil er Probleme mit den Autopapieren habe und nicht über die Grenze komme. Ich sagte zu und unterwegs stellte sich dann heraus, dass seine Freundin auch mit meiner Freundin befreundet war und sie mich von deren gezeigten Fotos wiedererkannt hätte. Das folgende Lied entstand auf unserer gemeinsamen Weiterfahrt.
die
vielen kilometer summen leise, als
wären es melodien und
die gräser salutieren dem wind. die
nacht ist fremd und einsam, doch
sie macht uns keine angst, solange
wir zusammen sind.
wir
haben uns nicht gesucht und
auch nicht gefunden, der
zufall hat uns zu freunden gemacht. und
irgendwie sind wir gerne zusammen, in
diesen wenigen stunden unserer
fahrt durch die türkische nacht.
heute
nacht fällt der mond noch auf die straße, wenn
wir beide daran glauben, werden
wir es sehen. heute
nacht fällt der mond noch auf die straße und
wir werden dann die ersten sein, die
vor dem neuen morgen stehen.
es
ist nicht mehr sehr weit und
ist das ziel auch ungewiss, wir
halten es ganz fest in unseren händen. die
illusionen waren schön, aber
doch nicht fest zu halten, lassen
wir`s dabei bewenden.
irgendwann
wird der tag uns trennen, am
horizont wird die sonne stehen und
glitzerndes licht auf den wellen treiben. dann
werde ich alleine weiter fahren und
habe sicher bald auch eingesehen, es
konnte nicht immer dunkel bleiben.
heute
nacht fällt der mond noch auf die straße, wenn
er sich vorher nicht
in der helligkeit verirrt. heute
nacht fällt der mond noch auf die straße, wie
ein stein, der
einem fliehenden nachgeworfen wird.
für Nesrin (1976) und unsere 11 stündige Fahrt durch die türkische Vollmondnacht.
Im Altbau des Krankenhauses waren in Zimmern unter dem
Ziegeldach die alten Rot-Kreuz-Schwestern untergebracht, die nicht mehr
gearbeitet haben, aber weiterhin versorgt wurden. (Ein Liedertext aus der "Limburger Zeit" von 1981) (PS: Das Krankenhaus Limburg ist hier aber nicht gemeint.)
die alten frauen
der schnee fällt immer nur
auf alte dächer,
die tragen ohnehin schon
schwer
und merken es nicht so.
die alten frauen verkriechen
sich
in ihre angstgemächer
und denken an 1950, damals
waren sie zum letzten mal
froh.
in den balken scheint
die zeit zu stöhnen und auf den treppenstufen sind die jahre festgetreten. die alten frauen können
nicht
einmal mehr sich selbst
verwöhnen, in ihren kammern unterm dach
sind sie dem herrgott nah
und beten.
von den decken rieselt kalk, in ihren arterien sitzt er
fest,
am fenster und am horizont hängen selbstgehäkelte
gardinen. abundzu den fußboden zu
kehren
ist alles, was man sie noch
tun läßt und jeder gegenstand erinnert sie daran, wem sie in allem dienen.
die alten männer hat es sicher auch einmal gegeben, inzwischen sind sie aber schon seit langem tot. vor dreißig jahren, da waren sie noch am leben, damals konnten sie noch lächeln und blasse lippen waren rot.
die alten frauen schauen
neidisch,
wenn junge mädchen durch die
flure gehen, wie ihre körper sich
bewegen,
an alte ohren dringt ein
junges lachen. dann starren sie durch trübe
fenster, ob wohl sie nicht mehr sehr
gut sehen und nicht mehr sehr gut
hören,
eigentlich fast nichts mehr
sehr gut machen.
die blumen werden immer noch
gepflegt und stehen auf den gleichen
fensterbänken, auch sie sind alt und wollen
schon lange nicht mehr
blühen. ein paar verstaubte bücher
verleiten fast zum denken, doch weil das traurig machen
könnte, will niemand sich so recht
bemühen.
und in der nacht gehn ihre
schatten ruhelos im zimmer hin und
her, sie können nicht mehr
richtig schlafen und verstreuen im
treppenhaus ihr gift. die beine sind zu dünn für
dicke körper
und sie zu heben fällt
besonders schwer, die alten frauen träumen
wach davon, daß alles was geschieht, sie
nicht mehr betrifft.
doch am anderen morgen
sind sie wieder einen tag
älter und haben nur vierundzwanzig stunden zeit, sich darüber zu beklagen. der winter ist in diesem
jahr
für viele sehr viel kälter als früher und, so scheint
es,
auch viel zahlreicher an
tagen.
der schnee fällt immer nur
auf alte dächer, die tragen ohnehin schon
schwer
und merken es nicht richtig. die alten frauen verkriechen
sich
in ihre angstgemächer und trübe augen hängen an
den kruzifixen, was ist denn überhaupt noch
wichtig?
"Alles ist gut, alles ist schlecht.
Die Gläser füllen sich und sind ganz einfach wieder leer, und manchmal in der Frühe, sterben sie geheimnisvoll.
Und hier noch ein Liedertext aus der "Limburger Zeit" von 1983 in einer Art Berufschulezum Thema: Hinter einer unaufmerksamen Schülerin steckt oft was ganz anderes, als Faulheit.
astronomie
sie sitzt müde in der
schule, hört dem lehrer kaum noch
zu,
wenn er sagt sie sei zu faul und würde nie was lernen.. für morgen solle sie nun
schreiben
einen aufsatz über
astronomie und alles was sie wisse
von den sternen.
dann geht sie nach hause,
vorbei an mädchen
in cafes und boutiquen.
gelegentlich betrachtet sie
sich
im spiegel eines
schaufensters und denkt daran, dass sie kein geld hat und auf dem schnellsten wege
heim muss.
denn da ist ihr kind und das ist krank, sie macht sich sorgen, weil man nicht weiß, woran es leidet. sie läuft von arzt zu arzt sitzt jede nacht an
seinem bett und hofft und wartet.
da ist ihr mann,
der zu viel trinkt und jeden abend
spät nach hause kommt. der andere frauen hat und sie beschimpft und manchmal schlägt und den sie vor langer zeit einmal geliebt hat.
da ist die schwiegermutter, die ihr ständig sagt,
dass sie zu schlecht
für ihren sohn ist.
die sie belehren will,
in allem was sie tut und die ihr vorschreibt, wie ihr haushalt auszusehen
hat.
da ist die mutter, alt und krank, für die sie putzt und kocht und wäscht und einkauft. da ist das grab von vater, wo sie für die blumen sorgt und oft sehr lange steht und an die kindheit denkt, die noch gar nicht lang
vorbei ist.
da ist ein spiegel,
in den sie schaut
und ein gesicht sieht,
so fremd und fast schon alt,
obgleich nur neunzehn jahre. da war doch früher mal
ein mädchen, jung und froh,
und voller ideale.
und lang nach mitternacht,
im haus ist alles ruhig, raucht sie mit zitternden
händen die wer weiß wievielte
zigarette.
den alkohol hat sie
vermieden, doch dass er nicht mehr weit
ist, das ahnt und das befürchtet
sie.
und so sitzt sie stumm am
fenster, weint ein wenig leise und
denkt nach über astronomie.
"Gut zu fühlen, dass der Drang, seine Seele auszuleeren, schweigen kann, obwohl man weiß, er wird immer wiederkehren." (Konstantin Wecker)
Hier kommt noch ein Liedertext aus dem Jahr 1981 zum Ende eines Lebensabschnitts und zum Beginn eines neuen wichtigen und schönen Zeitraums:
"Und jeder Zeitraum hat etwas eigenes, Frauen, Mädchen oder Kastanien..."
(André Heller)
zwei tote auf dem weg ins leben
zuerst habe ich deine augen gesehen, dann deinen körper
und dann dich,
hinter den hecken auf irgendeiner
gegenüberliegenden seite.
natürlich lagen jahre dazwischen, aber auch straßen, flüsse, meere -
du bist für mich immer auf der
gegenüberliegenden seite geblieben.
wir lernten uns auf distanz kennen, sehr entfernt und sehr schnell
und erst in der trennung
kamen wir uns langsam näher.
wir liebten den reiz des fremden, des ungewissen, unvollendeten - und wir haben nun den reiz verloren,
nur das fremde ist geblieben.
zuerst habe ich
deine augen verstanden, dann deinen körper, aber niemals dich.
wir sind zwei tote auf dem weg ins leben,
zum zweiten mal, zum dritten mal, zum wer-weiß-wievielten mal.
wir räumen jene felsen weg, mit denen wir uns einst den weg verstellten,
jetzt endlich sind wir dazu bereit,
gleiches mit gleichem zu vergelten.
die fehler, die wir machten,
haben unsere zeit gefüllt,
überfüllt..... wir waren nur am suchen interessiert
und haben nicht gemerkt,
dass wir längst etwas gefunden hatten.
die mißerfolge haben wir gesammelt
und in tagebüchern über die jahre gerettet,
doch die erfolge ließen wir davonfliegen, dabei hätten wir noch so viel lernen können.
wir hatten niemals gemeinsame pläne
und waren doch enttäuscht, wenn etwas kam wie es kam
und wir hatten nicht den mut
uns unsere wünsche einzugestehen,
wie es hätte kommen sollen -
ich habe zu viel geredet, du zu wenig,
ich habe zu wenig zugehört, du zu viel.
zuerst habe ich
deine augen verstanden, dann deinen körper, aber niemals dich.
wir sind zwei tote auf dem weg ins leben,
zum zweiten mal, zum dritten mal, zum wer-weiß-wievielten mal.
wir räumen jene felsen weg, mit denen wir uns einst den weg verstellten,
jetzt endlich sind wir dazu bereit,
gleiches mit gleichem zu vergelten.
wir haben einen kahlen gipfel erklommen und fruchtbare täler hinter uns zurückgelassen, doch jetzt geht es nicht mehr weiter, nicht mehr höher hinaus, wir müssen zurück. alles was wir jetzt zu tun haben, ist irgendwann schon einmal getan worden, alles was wir jetzt zu sagen haben, ist irgendwann schon ein mal gesagt worden. nun haben wir die chance, es besser zu machen und es vielleicht auch ehrlicher zu sagen.
vor uns warten sie vergebens, über uns... wir gehen zurück und wissen wie gut es tut zurück zu gehen und zu finden, was wir verloren haben, lass uns langsam gehen, es geht doch alles viel zu schnell. wir lassen uns nicht mehr hetzen.
jetzt wo ihr uns alle überholen könntet,
kommt ihr uns entgegen.
zuerst habe ich
deine augen verstanden, dann deinen körper, aber niemals dich.
wir sind zwei tote auf dem weg ins leben,
zum zweiten mal, zum dritten mal, zum wer-weiß-wievielten mal.
wir räumen jene felsen weg, mit denen
wir uns einst den weg verstellten, jetzt endlich sind wir dazu bereit, gleiches mit gleichem zu vergelten.
zuerst möchte ich
deinen augen sehen,
dann deinen körper
und dann dich. dann möchte ich deine augen verstehen, dann deinen körper
und dann dich.
und dann möchte ich dich lieben, dann möchte ich dich lieben.....
wir sind zwei tote auf dem weg ins leben,
zum zweiten mal, zum dritten mal,
zum wer-weiß-wievielten mal.
wir sind zwei tote auf dem weg ins leben,
zum wer-weiß-wievielten mal.
"a gift from a flower to her garden" (von Inge)
Noch ein Text aus dem Jahr 1976
(für Inge)
die
momente die mich leben lassen nährboden
für meine angst. farbkontraste
für meinen blick in
eine düstere zukunft, erinnerungen
an stunden in
denen wir uns nicht vom
regen unsere wünsche diktieren
lassen.
auch
hinter den wolken sind berge, wir
denken sie uns weg, diebstahl
an traditionen. Im
fluss treiben viel zitierte nicht
existente balken vorbei, dazwischen forellen und
schlangen mit diamanten, unsere
geheimnisse - wie die augen.
sonnenuntergänge
in touristen-altstädten, das
leben verfolgt uns auch nach pakistan. gleichnisse
und tastsachen, die
wir mit füssen treten. „wir“,
ein wort wie „endlich“ und
doch traurigkeit. hinter
bambusvorhängen wächst das
gras langsamer als die angst.
blicke,
die mein leeres gerede mit worten füllen wünsche
spielen roulette, sehnsüchte sterben die
hoffnung ist ein invalide, der hilfe braucht eine
stimme am telefon zerstört die einsamkeit, auch
nicht gesagte worte füllen bücher. zum
träumen ist plötzlich kein
schlaf mehr notwendig.
gegenwart
ist der tod der jäger, gedichte
von karl krolow, grabsteininschriften für
gesammelte komplexe, meilensteine
auf dem weg nach
schloss kranichstein.
siebenundzwanzig
rosen verzögern
das innere sterben. an
deinem namen scheitern meine
ausdrucksmöglichkeiten. gefühle
resignieren vor der wahrheit und
was noch geblieben ist, hat einen langen weg vor sich.
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Diese Widmung: "A gift from a flower to her garden" hat mir Inge einmal in ein Buchgeschenk geschrieben. Der wahre Inhalt ist mir erst viel später klar geworden. Inge war immer eine Blume, die im Verborgenen geblüht hat und leider auch viel zu früh verblüht ist. Ich weiß jetzt erst viel später, dass ich für ein paar Jahre ihr "Garten" sein durfte. Und vielleicht gehört das zu den wirklich guten Dingen, die ich in meinem Leben getan habe.
Der folgende Text ist von 1981 und er war nur schwer auffindbar. Ich will ihn trotzdem hier bringen, weil es eine wichtige Zeit betroffen hat. Und ich wollte ja wohl nicht diese Zeit vergessen, sondern das vergehen der Zeit allgemein.
wenn ich nur die zeit vergessen könnte
wenn
ich nur die zeit vergessen
könnte, denn
sie läuft gegen mich, doch
das macht mich jetzt
gar nicht mehr so traurig, denn
ich weiß, sie läuft für dich.
wenn
ich alleine bin, fühle
ich mich nicht einsam, sondern
manchmal nur sehr alt, du
lässt mich das vergessen, wenn
ich bei dir bin, sehe
ich meine möglichkeiten.
und
wenn du gehst, dann
gehen auch sie. meine
gedanken an dich sind
das schönste, was
ich zur zeit habe, nur
zeit habe ich nicht.
wenn
ich nur die zeit vergessen
könnte, denn
sie läuft gegen mich, doch
das macht mich längst
nicht mehr so traurig, seit
ich weiß, sie läuft für dich.
und
niemals werde ich ein
böses wort zu dir sagen können. dich
zu verletzen hieße selbstmord
begehen und
das macht mir etwas angst.
und
so versuche ich in
mancher nacht zu begreifen, was
du für mich bist. doch
nicht die nacht, sondern
die sonne könnte
diese frage beantworten.
wenn
ich nur die zeit vergessen
könnte, denn
sie läuft gegen mich, obwohl
mich das schon längst
nicht mehr so traurig macht, seitdem ich weiß, sie läuft für dich.
Was nun folgt ist ein Lied, das ich im Jahr 1988 geschrieben habe, also gegen Ende des Jahrzehnts, wo für mich so viel wichtiges geschehen war. Ich habe es noch in meinem Fundus (Keller) gefunden.
die letzten blicke sind schon lang gewechselt,
die letzte worte sind schon lang gesagt.
die letzten küsse sind lange schon gegeben, die letzten fragen bleiben ungefragt.
die letzten wege sind gemeinsam längst gegangen,
die letzten siege zusammen längst erzielt.
die letzten pläne schon vor langer zeit gescheitert, die letzten wünsche bleiben unerfüllt. alles entsteht,
alles vergeht, ist es zum ersten
mal oder zum letzten mal, ist es zu früh,
oder zu spät? alle sagen ja, alle
sagen nein, sind die menschen
zu groß, oder zu klein?
die letzten männer sind in den krieg gezogen, der letzte stolz ist lang schon nichts mehr wert.
die letzten lügen sind alle aufgeflogen,
die letzte kraft ist lang schon aufgezehrt.
die letzten frauen sind schon lang betrogen,
die letzten träume sind schon lange ausgeträumt. die letzten vögel sind nach afrika geflogen,
die großen chancen sind zum letzten mal versäumt.
alles entsteht,
alles vergeht, ist es zum ersten
mal oder zum letzten mal, ist es zu früh,
oder zu spät? alle sagen ja, alle
sagen nein, ist die liebe zu
groß oder zu klein?
die letzten kinder sind schon lang erwachsen,
die letzten ostereier lang schon gut versteckt. die letzten wunder dieser welt sind schon entzaubert,
die weißen flecke sind alle längst entdeckt.
die letzten ehen sind schon lang geschieden, die letzten tränen sind lange schon geweint.
die letzten blumen sind schon lang vertrocknet, vielleicht hat auch die sonne schon zum letzten mal gescheint.
alles entsteht,
alles vergeht, ist es zum ersten
mal oder zum letzten mal, ist es zu früh oder
zu spät? alle sagen ja, alle
sagen nein, ist diese welt zu
groß oder zu klein?
die letzten wälder sind schon lang gestorben,
die letzten wiesen schon lange asphaltiert. die letzten autos sind schon lang verrostet
und wer gut fahren will wird längst nicht mehr geschmiert.
das letzte kraftwerk ist lang schon abgeschaltet, der letzte wahlkampf ist schon lange aus. die letzte kühe sind schon lang geschlachtet,
die letzten gastarbeiter längst wieder zu haus.
alles entsteht,
alles vergeht, ist es zum ersten
mal oder zum letzten mal, ist es zu früh oder
zu spät? alle sagen ja, alle
sagen nein, ist die zukunft zu
groß oder zu klein?
die letzten asylanten sind lang schon abgeschoben, die letzten idealisten sind lange schon frustriert. die letzten tabus sind endlich aufgehoben, die letzten narren sind gewaltsam demaskiert.
die letzten bomben sind lange schon geworfen,
die letzten meere schon lange umgekippt.
die letzten steuern sind schon lange hinterzogen, die letzten wahrsager haben wie meistens falsch getippt. alles entsteht,
alles vergeht, ist es zum ersten
mal oder zum letzten mal, ist es zu früh,
oder zu spät? alle sagen ja, alle
sagen nein, ist die wahrheit zu
groß oder zu klein?
die letzten nobelpreise sind schon lang verliehen,
die letzten tierversuche sind lange schon gemacht. die letzten sünden sind uns allen längst verziehen, über die letzten witze wird schon lang nicht mehr gelacht.
die letzten zechen sind schon längst geschlossen, die letzten fäuste sind lange schon geballt. das letzte pulver ist lange schon verschossen, das letzte echo ist lange schon verhallt.
alles entsteht,
alles vergeht, ist es zum ersten
mal oder zum letzten mal, ist es zu früh oder
zu spät? alle sagen ja, alle
sagen nein, ist der glaube zu
groß oder zu klein?
die letzten opfer sind schon lang gefunden, die letzten spieler haben ausgespielt.
die letzten feinde sind im fluß vorbeigetrieben, der letzte pfeil hat auf dein herz gezielt.
die letzten henker sind schon lang gerichtet,
die letzten toten sind schon lang verscharrt. die letzte schreie sind lange schon verklungen, die hohen herren haben uns zum letzten mal genarrt.
alles entsteht,
alles vergeht, ist es zum ersten
mal oder zum letzten mal, ist es zu früh oder
zu spät? alle sagen ja, alle
sagen nein, sind die herzen zu
groß oder zu klein?
die letzten reden sind schon lang gehalten, die letzten fässer sind schon lang geleert. die letzten gläser sind auch schon ausgetrunken,
und die letzten flüche bleiben unerhört.
die letzten gräber sind schon lang gegraben, die letzten grenzen sind schon lang verwischt. die letzten lieder sind lange schon gesungen, das letzte abendmahl ist aufgetischt.
wir haben es ja auch oft geübt nur begriffen haben wir es nie
- - -
um den worten einen sinn zu geben erfinden wir einen -
wir halten selbstbetrug für zufriedenheit nachdenklichkeit für unsicherheit und innere schönheit für ein röntgenbild
so geben wir allem den sinn den wir gerne hätten
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AUF DEM GABENTISCH... ____________________________
es gibt so viele nützliche dinge wie gehackte zwiebel aus der tube oder frische luft aus der spraydose
ich schlage vor: dosiersysteme für emotionen filterpapier dreilagig nässepuffer für freudentränen und für die kritische schwiegermutter eine anleitung zur selbstkritk
(Link: Weihnachtskarte 2010)
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kaufen sie kaufen sie - was sie nicht haben was sie nicht sind
kaufen sie eine weltanschauung eine meinung ein gesicht - übrigens im praktischen dreier-set ab 37,50 DM umtausch ausgeschlossen auch als geschenkpackung
sie erhalten gratis dazu eine persönlichkeit gegen aufpreis eine bessere
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es gibt jetzt eine videocassette die zeigt einen christbaum
stundenlang einen christbaum mit echten kerzen versteht sich
diese cassette ist für jugendliche nicht geeignet
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unsere attraktion: zahncreme und weihwasser in einem
beseitigt alle falten im gesicht und anderswo
erübrigt sogar das hände falten
Noch `n Weihnachtsgedicht...
Josef sprach in Galiläa, "betrachte ich die Sache näha, so kann ich nicht der Vater sein. Maria, sprich: Wie heißt das Schwein?"
"Lieber Josef, glaube mir, dieser Knabe ist von dir. Woher kommen deine Zweifel?" "Nicht von ungefähr, zum Teufel.
Ein Herr Engel kam zu mir und erzählte mir von dir und deiner Affäre mit Herrn Geist, was deinen Seitensprung beweißt."
"Aber nein, so glaube mir, dieser Herr Engel war auch hier und sagte, daß sein Chef ihn schickt, damit was ganz besondres glückt.
Es ist wahr, ich bitte dich, er sprach, ein Geist käm über mich und mir ward es Angst und banger, ich ward ganz von selber schwanger.
Ich gehör doch zu den Braven und hab mit keinem Kerl geschlafen." "Oh je, soll ich das etwa glauben? Willst du den Verstand mir rauben?
Nein, das find ich unerhört, hat deine Mutter dich nicht aufgeklärt? Und du willst noch Jungfrau sein, darauf falle ich nicht rein."
"Aber..." "Schweig, das hör ich gern und was ist mit diesem Stern, der dort groß am Himmel steht? Nein, zum Lügen ists zu spät.
Verstell dich mir doch nicht so dreist und zeig mir diesen scheinheiligen Geist. Schaue in die Augen mir, wer sind die drei dort an der Tür?"
"Ich kenn sie nicht, jedoch ich denke, sie bringen unsrem Kind Geschenke." "Unsrem Kind? Das wird ja immer schlimmer, ist das hier ein Stall oder ein Kinderzimmer?
Was macht das ganze Viehzeug hier? Was wollst ihr drei, so sagt es mir." "Wir kommen von der Morgenpost und folgten diesem Stern gen Ost,
zu sehen diesen kleinen König." "Jetzt verstehe ich nur wenig, warum das Kind dort König heißt, ich denk der Vater ist Herr Geist?
Maria, sprich, was ist das dran, gibts da noch nen zweiten Mann?"
"Josef, bitte glaube mir, hatt ich bislang auch nichts mit dir, mit andern nicht einmal im Traum, die Herrn Geist und König kenn ich kaum.
Ganz von selbst kam dieser Bengel, wenn dus nichts glaubst, dann frag Herrn Engel, oder allem Ernst zum Spott, frag seinen Chef, den Karel Gott."
Josefs Gesicht wird immer länger, "was weiß denn dieser Schlagersänger?"
"Lieber Josef," sprach Herr Engel leis, "deine Hörner sind der Preis für den Glauben von zweitausend Jahr, ich sage dir, er wird mal wahr.
Und außerdem, nicht zuletzt, hast du sie dir selber aufgesetzt. Schuld dran ist dein Stolz als Mann, der nur anerkennen kann
was er selber hat geschafft, mit seiner eignen Körperkraft und auch nur mit eignem Geist, was genaubetrachtet heißt,
die Menschen würden auf die Lehren eines Zimmermannsohnes hören, der, genauso beschränkt wie du, nichts anderes will, als seine Ruh.
Was wäre dann des Glaubens Lohn? Nein, zum Glück ists nicht dein Sohn."
Josef ist jetzt überzeugt und geht davon, vor Gram gebeugt, ahnt schon, daß die Welt total verkehrt, später Frau und Sohn verehrt,
und keiner denkt an ihn zurück - plötzlich lacht er: "Welch ein Glück."
Es ist der letzte Tag des Jahres. Noch eine Stunde und vierzig Minuten. Draußen knallt es von Zeit zu Zeit, mal näher, mal entfernt. Es hört sich ein wenig an wie Krieg. Vielleicht ist es Krieg, auf jeden Fall wird geschossen.. Aus Freude? Aus Verzweiflung? Aus Notwehr? Schüsse zur Verteidigung und zum Angriff klingen gleich. Auch die Wunden, die sie reißen, sind die gleichen. Verteidigen sie das alte Jahr gegen das Neue? Angriff ist die beste Verteidigung.
Warum sitze ich hier an meinem Schreibtisch? Vor mir eine Kerze, eine Flasche Rotwein, hinter mir ein ganzes Jahr.
Warum kämpfe ich nicht mit, verteidige nichts und niemanden, greife niemanden an? Keine Siegesfeier, kein Begräbnis, noch nicht einmal eine Wiederauferstehung. Was mache ich hier?
Noch eine Stunde und fünfundzwanzig Minuten. Ist das die Zeit Vorsätze zu fassen? Ich rufe: Fass! Doch der Hund bleibt sitzen. Es ist ein Faß ohne Boden. Bodenlos. Gnadenlos. Noch nicht einmal das Losglück ist mir treu geblieben. Überhaupt ist das so eine Sache, mit der Treue. Wer bleibt wem treu? Und warum? Treue klingt wie Reue. Ist das jetzt die Zeit Vorsätze zu bereuen? Der Jahreswechsel hat nichts zu tun mit den Wechseljahren, soviel ist mir klar. Dennoch ist es die Zeit, sich mit dem Alter zu beschäftigen. In dieser Nacht werde ich um ein Jahr älter, nicht an meinem Geburtstag. Deshalb ist es für mich die Zeit nachzudenken. Die Partys sind abgesagt, die Rolläden geschlossen, das Glas gefüllt. Der letzte Weihnachtsstollen ist gegessen, der Käse steht noch auf dem Tisch. Noch ist es Zeit zurückzuschauen.
Noch fünfundsechzig Minuten. Die Front ist näher gerückt. Ich schenke mir ein neues Glas Wein ein, ich schenke mir reinen Wein ein. Und zünde mir noch eine Zigarette an. Ein neues Jahr steht uns bevor. Ein neues Jahr, ein neues Glück. Bitte das Spiel zu machen. Den Einsatz wagen, bevor es heißt: Nichts geht mehr. Wenn die Kugel erst einmal gefallen ist, dann heißt es gewinnen oder verlieren.
Noch dreißig Minuten. Die Front muß unmittelbar vor meinem Fenster liegen. Die Heckenschützen lauern hinter den Gardinen, sie schießen auf alles was sich bewegt. Und es bewegt sich nicht mehr sehr viel. Die Schweigenden beginnen zu gröhlen, die Schüchternen ballen die Fäuste. Und alle scheinen sie ein wenig zu wachsen.
Wir sollten den Täter und das Opfer in uns selbst suchen. Dazu haben wir im alten Jahr noch zwölf Minuten Zeit. Draußen brennt die Stadt schon. Die Menschen sitzen in den Kellern und warten, wie sie schon immer gewartet haben. Für manchen spielt sich das ganze Leben in Kellern ab. Sie warten bis es endlich losgeht, dabei ist es schon vorbei. Auf Los gehts los. Gedankenlos. Gnadenlos. Gnadenbrot. Brot und Wein. Und Blut. Ich schenke mir noch ein Glas Wein ein. Für dieses Jahr hat das Blutvergießen bald ein Ende. Noch eine letzte Zigarette.
Noch acht Minuten. Gib acht! Das wird ein Feuerwerk, sagte der alte Offiziert und setzte die Pistole an die Schläfe. Heute Nacht wird nicht geschossen, sagte die Mutter und warf das ganze Feuerwerk in den Ofen. Das Fest hat den Höhepunkt erreicht, die Gäste sind besoffen, die Fenster offen, die Sektkorken sitzen schon locker. Worauf sie auch immer anstoßen werden, es wird falsch sein. Was immer sie sich zurufen werden, es wird gelogen sein.
Noch drei Minuten. Mein Gott, gleich gehts los. Gleich hörts auf. Was kommt zuerst? Und es gibt doch ein Leben vor dem Tod. Im Radio läuten die Glocken, draußen knallt und pfeift es. Im Irak, in Palästina, in Pakistan ist das der Alltag. Prosit Neujahr!
Jetzt klingelt das Telefon. Ich nehme nicht ab. Irgendjemand denkt an mich. Wer mag das wohl sein? Egal. Es ist irgendjemand der an mich denkt. Das neue Jahr ist schon sechs Minuten alt und man hat mich noch nicht vergessen. Das fängt schon gut an. Draußen wird immer noch geschossen, die Opfer werden abtransportiert, kein Meter Boden wird preisgegeben. Der Kampf ist gnadenlos, bis aufs Messer und Gabel. Es wird auch keinen Sieger geben.
Schon sechzehn Minuten. Langsam beruhig es sich draußen wieder. Meine Fensterläden sind noch immer geschlossen. Ich habe nichts gesehen, doch alles wiedererkannt. Morgen wird von abgebrannten Weihnachtsbäumen und ausgebrannten Wohnungen in den Zeitungen stehen, von verbrannten und abgerissenen Fingern, von ausgeschossenen Augen, von Alkoholleichen und anderen. Morgen wird es genauso weitergehen, wie es gestern aufgehört hat. Die Sprüche werden noch die gleichen dummen sein, die Gesichter auch. Dieses Narrenschiff findet keinen Hafen. Es ist genug. Es ist endlich genug, hört auf! Ein paar unermüdliche schießen noch immer. Sie geben einfach keine Ruhe.
Am anderen Morgen, beim ersten Blick aus dem Fenster, sieht alles so aus wie immer, so als wäre nichts geschehen. Vielleicht ist auch gar nichts geschehen, vielleicht habe ich in dieser Nacht mir alles nur eingebildet. Niemand hat geschossen, keiner hat sich zugeprostet. Nichts hat aufgehört und nichts hat begonnen Vielleicht ist es schon immer so gewesen, vielleicht ist noch nie etwas geschehen?
"Etwas furchtbares ist geschehen, denn nichts ist geschehen."
Dann wird es aber höchste Zeit, endlich damit zu beginnen. Vielleicht ist dies der Anfang, endlich mit all den Lügen aufzuhören. Aber die guten Vorsätze geraten schon jetzt ins Wanken.
Und noch 364 Tage bis zum nächsten Jahreswechsel. Wir wollen zuversichtlich sein.....