Ab 1989 habe ich in Berlin gelebt und dort ein wichtiges Kapitel der Weltgeschichte miterlebt. 1991, nach der Wiedervereinigung, habe ich Berlin "fluchtartig" wieder verlassen.
die mauer ________________________________________________________
sie haben mir meine mauer genommen,
mit ihrem schrei nach freiheit,
nach Deutschland-einig-Vaterland was immer sie damit auch gemeint haben.
sie hat mir halt gegeben,
ich konnte mich nie verlaufen,
habe immer gewusst, wo meine feinde sind:
es war immer meine eigene seite gewesen.
in ihrem schatten ließ es sich gut leben, ich hatte immer den rücken frei, bei eventuellen angriffen. und ich hatte immer den nötigen abstand zu diesem deutschland, das jetzt noch größer geworden ist, dieses Großdeutschland, und das für mich immer kleiner wird. sie war eine klare linie, eine der wenigen, auf die man sich verlassen konnte. ein symbol der macht, aber auch der duldsamkeit und der knechtschaft: nicht nur die wölfe sind schuldig, sondern auch die lämmer.
sie haben mir meine mauer genommen, wo früher umwege erforderlich waren, eröffnen sich jetzt irrwege und statt eines energischen HALT!
höre ich jetzt ein zweifelhaftes Herzlich Willkommen.
die misstrauischen blicke waren ebenso verbindlich,
wie die zahlreichen parolen auf dem beton und jetzt lächeln sie durch löcher, verkaufen die mauer meistbietend
und nicht nur sie, sondern auch sich
und zu allem überfluss in allem überfluss auch noch mich.
dann sind sie über mich hergefallen, von beiden seiten und unerbittlich, mit bananen und schönen worten
und die neuen klänge auf den straßen waren plötzlich wieder die ganz alten,
hervorgeholt aus den schubladen eines halben jahrhunderts. und wo sie alle plötzlich herkamen
und wo sie alle plötzlich hingingen und was sie alles schon immer gesagt hatten,
an was sie schon seit jeher geglaubt haben ... - der glaube, - er sollte sich darauf beschränken berge zu versetzen und keine mauern.
sie haben mir meine mauer genommen
und damit die chance grenzen zu überwinden,
zwischen arm und reich, böse und gut,
hungrig und satt, sklave und herrenmensch, farblosigkeit und schönfärberei. plötzlich stehe ich all jenem gegenüber,
was ich schon immer geahnt habe
und jenem, was ich vergessen wollte und längst viel weiter weg vermutet hatte.
ich habe auf einmal zwei vergangenheiten, aber nur noch eine zukunft
und ich weiß nicht mehr, was bedrohlicher ist.
meine schatten und probleme habe ich
auf der anderen seite in sicherheit gewusst, doch sie wurden gehegt und gepflegt,
haben sich vermehrt und sind gewachsen
und jetzt stehe ich ihnen wieder gegenüber.
wie dumm von mir, anzunehmen da drüben wäre eine andere welt,
das haben die dort drüben doch auch geglaubt.
sie haben mir meine mauer genommen, an der ich mich immer anlehnen konnte oder den kopf stoßen und manchmal auch ein dringendes bedürfnis erledigen. von den holzgestellen konnte ich hinüberwinken
und manchmal winkte jemand zurück und ich beneidete ihn darum.
ich habe immer gewusst, wann ich fortgehe
und wann ich nach hause komme, und auf beides konnte ich mich freuen. natürlich wird mir jetzt ein teil dieses landes vertrauter werden, aber ein anderer teil
wird mir langsam immer fremder.
immer weniger kann ich mitreden, immer lauter wird gesprochen, doch kein echo kommt mehr von der ostwand,
selbst den teufel kann man nicht mehr daran malen. "was zusammengehört
wächst auch zusammen" - sicher, eine wunde heilt mit der zeit, doch nicht, solange das messer noch darinsteckt.
wieder vereint _______________________________________________________
wieder vereint sind wir, du und ich und hatten nicht einmal gemerkt, daß wir getrennt waren.
sicher, da war eine unüberwindbare mauer zwischen uns, von zeit zu zeit lächerliche fluchtversuche auf beiden seiten, oft lange vorbereitet, aber immer gescheitert.
wir haben dicht nebeneinander hergelebt, doch uns nur aus der ferne beobachtet, wir haben die gleiche sprache gesprochen, aber uns niemals richtig verstanden.
unseren feind haben wir stets beim anderen vermutet und sind es doch immer nur selbst gewesen.
manchmal haben wir kerzen in unsere fenster gestellt, als zeichen unserer liebe und dann haben wir uns ratlos angesehen und gewartet, und gewartet ...
die mauer zwischen uns hat uns erst das nebeneinander ermöglicht, uns gezeigt, wie unerreichbar nah wir waren. wir konnten uns nie gefährlich werden, aber uns auch nie verlieren. unsere macht war die gewohnheit und unsere ohnmacht auch.
und jetzt sind wir wieder vereint; sind wir weiser geworden oder reifer oder einfach nur ängstlicher und einsamer? erst jetzt haben wir erkannt, wie sehr wir getrennt waren, haben diese gottverdammte mauer zwischen uns eingerissen und nun stehen wir uns gegenüber und wissen nicht, ob du zu mir kommen sollst, oder ich zu dir, und wir begreifen, daß uns jetzt nichts mehr voreinander schützt.
abschied von berlin __________________________________________________________
bevor sie erwacht ziehe ich mich an und gehe im morgengrauen. vielleicht schreibe ich noch mit ihrem lippenstift es war schön auf den spiegel.
um die abschiedsworte drücke ich mich, tränen wären fehl am platz, nur die trauer nehme ich mit ...
die trauer um die verpaßten chancen, mit welcher zuversicht habe ich sie damals ergriffen, überzeugt alles richtig zu machen, doch dann eine nach der anderen ungenutzt durch die finger gleiten lassen.
die trauer um die nichtgehaltenen versprechen, gegeben in bestem glauben, voller ehrlichkeit und unwissenheit und letztendlich doch entlarvt als irrtümer und lügen.
die trauer um das wissen vom scheitern, vom langsamen schwinden der kraft, vom ewigen finden und verlieren. was morgens noch entdeckt wird, ist abends bereits erinnerung.
was mich gestern noch getötet hat, macht mich morgen unsterblich.
und noch etwas nehme ich mit von hier: die freude.
die freude über den kleinen händedruck und die großen umarmungen, über die unstillbare neugier und die abenteuer, zu denen sie mich geführt hat.
die freude über die verschlafenen tage und die durchwachten nächte, über die ruhelosigkeit und die ausdauer, mit der andere mich begleitet haben.
die freude über die großen ereignisse, in denen ich zu ertrinken drohte, wenn sie wie wellen über mich hinwegspülten und über die kleinen inseln, auf die ich mich jedesmal retten konnte.
ich gehe mit vollen händen hinaus, mit der wärme der nacht in den kalten morgen. wir haben uns viel gegeben und nichts genommen und wir haben uns nicht festgehalten, das waren wir uns schuldig.
ja, wir sind uns nichts schuldig geblieben, bis auf die abschiedsworte auf dem spiegel. bevor ich schreiben konnte, habe ich hineingesehen: du bist nicht spurlos an mir vorüber gegangen.
nicht wir selbst sind wichtig, sondern die zeit, die wir gemeinsam verbracht haben.
der letzte mensch _______________
der vorletzte mensch lebt in einem glashaus und wirft mit steinen der letzte mensch ist glaser und freut sich auf ein letztes geschäft
nicht die welt geht zugrunde sondern die menschen - gärtner und glaser - des einen wut ist des anderen blut
Als ich vor die Haustüre trete, werfe ich einen Blick nach oben und freue mich, daß die Sonne scheint. Im selben Moment trete ich in den Hundekot. So fängt es immer an! Jedesmal wenn ich in den Himmel schaue, trete ich in den Hundekot. Betrachte ich eine Hausfassade oder ein Schaufenster, schon trete ich in Hundekot. Ob ich auf der gegenüberliegenden Straßenseite jemanden grüße, die Schlagzeilen am Zeitungskiosk lese, das Laub der Bäume betrachte, immer trete ich in Hundekot, sowie ich meinen Blick nur für eine Sekunde vom Boden emporhebe. Hinter Hausecken und Litfaßsäulen scheinen die Hunde zu lauern, um mir vor die Füße zu scheißen. Ich weiß, so fängt es immer an und ich nehme mir vor, mich nicht darüber zu ärgern. Zumindest so lange nicht, wie ich nicht ausrutsche und zu Boden falle. Mit aufmerksamen und gezielten Schritten und mit gesenktem Blick, mache ich mich auf den Weg. Ohne größere Zwischenfälle gelingt es mir, den U-Bahnhof zu erreichen. Höflichen Fragen nach etwas Kleingeld ("Haste mal ne Mark?"), sowie dem freundlichen Angebot eines finsteren Jugendlichen, etwas Hasch zu kaufen, konnte ich unterwegs widerstehen.
Auf der Treppe zum U-Bahnsteig bläst mir der Wind fast die Mütze vom Kopf. Unten angekommen verkürze ich mir die Wartezeit, indem ich auf dem düsteren und schmutzigen Bahnsteig auf und ab laufe. Dabei gebe ich mir Mühe, nicht in die zahlreichen kleinen Speichelpfützen auf dem Boden zu treten. Viele Menschen haben die Angewohnheit, von Zeit zu Zeit auszuspucken, egal jetzt mal warum. Wohin man schaut begegnet man diesen kleinen Treffern im großen Spucknapf und ich stelle mir nur kurz vor, wenn alle diese Menschen gleichzeitig ausspucken würden... Eine gewaltige Flutwelle würde mich vom Bahnsteig spülen. Auf eine Bank setzen kann ich mich nicht, denn auf der einen liegt ein betrunkener Stadtstreicher und die andere ist mit Kebap-Resten dekoriert. Von den Wänden glotzen mich irgendwelche Reklameköpfe an, die mir eine bestimmte Zigarettenmarke oder eine Partei vorschreiben wollen. Ankündigungen von Ausstellungen und Konzerten kenne ich schon auswendig, sie vermitteln mir das Gefühl, daß oben das Leben weitergeht, selbst wenn ich das Tageslicht nicht mehr wieder sehen sollte.
Wieder bläst mir der Wind aus der finsteren Röhre ins Gesicht, Zigarettenkippen rollen davon, die Bahn kommt. Die Fenster sind schwarz vor Menschen, die Türen scheinen ausgebeult. Hilft nichts, ich muß rein, was mir einige böse Blicke der nach Luft ringenden Fahrgäste einbringt. "Zurückbleiben" ruft der Lautsprecher. Schön wärs, denke ich mir und versuche mich dann auf eine einsame Wiese oder einen stillen Wald zu konzentrieren. Das ist freilich kaum möglich, denn mit jedem Atemzug atme ich die alkoholgeschwängerte ausgeatmete Luft meines Gegenübers ein. Außerdem drückt mir irgendein Ellenbogen pausenlos in die Seite und an der Haltestange berührt mich ständig eine feuchte Hand. Irgendwo hustet jemand, ein anderer schneutzt sich. Vor meinem Gesicht erscheint eine Bild-Zeitung, vor allen anderen Gesichtern auch, zwangsläufig lese ich die Rückseite. Ein paar Reihen weiter hat sich wohl jemand die Zähne nicht geputzt, während ein anderer sein gestriges Tzaziki ausdünstet.
An der nächsten Haltestelle beginnt eine allgemeine Umschichtung, was jedoch nicht mehr Platz bedeutet, sondern allenfalls eine Verlagerung der Gerüche. Außerdem habe ich das Glück, eine andere Seite der Bild-Zeitung vor mir zu haben, was mir die Fortsetzung meiner Lektüre ermöglicht. Meine Atmung versuche ich so flach wie möglich zu halten, die Knie werden mir weich, der Schweiß bricht mir aus.Gerade noch rechtzeitig öffnet sich die Tür und ein Pulk von Menschen schiebt mich vor sich her, über den Bahnsteig, eine Treppe empor. Nur mit Mühe gelingt es mir ein Stolpern und damit meinen sicheren Tod durch zertrampelt werden zu verhindern. Im letzten Moment weiche ich geschickt Erbrochenem auf der Treppe aus und steige über leere Bierflaschen. Andere treten hinein, kicken dagegen, Scherben fliegen herum.
Auf dem anderen Bahnsteig sehe ich nur beiläufig die Reklamegesichter an den Wänden, eine andere Zigarettenmarke, eine andere Partei, aber die gleichen Konzerte und Ausstellungen. Oben ist das Leben, hier unten ist die Hölle. Auch hier schiebt die Bahn eine Wolke aus muffiger Luft, Zigarettenqualm und fliegendem Papierabfall vor sich her. Ich atme dennoch einmal kräftig durch, bevor sich die Türen der Bahn nach der, für mich vergeblichen, Aufforderung "Zurückbleiben" hinter mir geschlossen haben. Wieder starre ich auf die gleichen ausdruckslosen Gesichter auf und hinter den Zeitungen, beobachte die Zahnlücken beim Gähnen, entdecke Flecke auf Kleidungsstücken und Schmutz an den Schuhen.
Ich merke, wie meine Kraft nachläßt, habe das Gefühl, entweder sterben oder töten zu müssen. Mit monotoner Stimme werden die nächsten Haltestellen angekündigt, ich kenne sie alle. Auch die Menschen, die einsteigen oder nur auf den Bahnsteigen herunmlungern, kenne ich und sie kennen mich. Ich bin einer von ihnen, habe längst das gleiche frustrierte Gesicht wie sie, den langweiligen Gesichtsausdruck, die Hoffnungslosigkeit in den Augen, hier jemals wieder lebend rauszukommen. Und doch erlöst mich bald eine Stimme, retten mich vor dem bevorstehenden Suizid, mit dem Ausruf: "Endhaltestelle. Alle aussteigen!" Endlich am Ende, Aussteiger sein, von Ferne droht das Tageslicht. Menschenmassen quetschen mich über eine Rolltreppe hinaus aus dem Untergrund, der Oberwelt entgegen. Endlich kann ich wieder Luft atmen, wenn auch von Autoabgasen durchsetzt. Die Sonne sehe ich nur von weitem, denn hier am Busbahnhof befinde ich mich im Halbdunkel, was sicher gut ist, weil sich doch die Augen erst langsam an die Helligkeit gewöhnen müssen.
Der Busbahnhof ist mit tausenden Zigarettenkippen übersät, es befinden sich hier die unterschiedlichsten Essensreste, teilweise plattgetreten oder auf Bänken und in Telefonzellen verteilt. Cola-Dosen, Bierpfützen und Speichelkleckse, wehende Papierfetzen und Taubenkot. Die Menschen laufen darin herum, als sei das alles selbstverständlich und wahrscheinlich ist es das ja auch. Ich würde mich gerne in eine Ecke verkriechen, wenn nicht just in den Ecken der meiste Dreck liegen würde.
Endlich kommt der Bus. Wieder schiebe ich mich, Körper an Körper, mit den anderen hinein und los geht es. Mein Blick flüchtet aus dem Fenster. Alle zittern und wackeln gleichmäßig im Rhytmus mit der Vibration des Fahrzeuges. Sie torkeln vorwärts beim Bremsen, fallen zurück beim Beschleunigen, in den Kurven nach links, nach rechts, eine große Gemeinschaft, vereint durch identische Bewegungen ihrer Körper. Wäre der Bus ein Schiff, sie würden vermutlich auch alle gleichzeitig kotzen. Ich gebe mir Mühe, nicht dazuzugehören, wehre mich dagegen, doch vergeblich. Wenn dich erst einmal der Sog auf der Treppe zur U-Bahn gepackt und hinuntergezogen hat, kannst du nicht mehr entkommen. Das Busfahren ist da nur eine Strafmilderung wegen guter Führung.
Vor dem Klinikum hält der Bus und fast alle steigen aus. Ein Pulk von etwa 25 Leuten läuft im Gleichschritt auf das hässliche Gebäude zu, ich mittendrin. Auch hier gibt es kein Entrinnen. Gemeinsam gehen wir über die Straße, quetschen uns gemeinsam über die Treppe, drängeln durch den Eingang, vorbei an der Massenabfertigung in der Halle und durch die menschenverachtenden Flure. Ich schaue nicht nach links und nicht nach rechts, sehe aber vor mir welche laufen, spüre sie neben mir, höre sie hinter mir. Wir sind alle noch zusammen, keiner ist verloren gegangen.
Als der Lift kommt, rücken alle wieder auf die gewohnte, Körperkontakt fördernde Nähe zusammen und wie befürchtet passen alle hinein. Zugelassen für 24 Personen steht an der Wand. Ich fühle mich wie der Fünfundzwanzigste und möchte laut schreien. Nur keine Energie verschwenden, denke ich mir aber, falls wir stecken bleiben. Schon rechne ich damit, den Rest meiner Tage mit diesen Menschen verbringen zu müssen und beginne, mir die Gesichter näher anzusehen. Mir wird schlecht, meine Fäuste sind geballt, aber ich habe keine Kraft mehr. Willenlos lasse ich alles mit mir geschehen. Irgendwann wird mich irgendwer schon aus dem Lift, dem Bus, der U-Bahn hinauswerfen, beschimpfen, ausstoßen und ich werde dann vor der geöffneten Tür auf dem Boden liegen, wie ein Fremdkörper, den die Menschenmasse ausgerülpst hat, die sich hinter den Türen aneinander drückt und reibt und mit Fingern auf mich zeigt. Dann wird sich die Tür schließen und ich werde alleine zurückbleiben. Alleine und frei. Ich werde Zeit brauchen und Kraft sammeln für die nächste Fahrt, denn ich weiß, irgendwo dort unten lauern sie bald wieder auf mich, rotten sich zusammen, um mich mit Exkrementen, Abfällen und Ausdünstungen niederzumachen, mit ihren tristen grauen Gesichtern und ihrem selbstgefälligen Gerede. Aber freiwillig kriegen die mich nicht!
__________________________________________________________________________________________ geschrieben unterwegs: U-Bahnhof Südstern/Kreuzberg, U-Bahn Linie 7, Berliner Straße, Linie 9, Rathaus Steglitz, Bus Linie 88, Klinikum Steglitz. Jede Ähnlichkeit mit der Wirklichkeit ist nicht beabsichtigt, sondern zwangsläufig.
Nach sehr vielen Jahren habe ich wieder Kontakt zu Edelgard, einer Freundin aus meiner Berliner Zeit. Sie arbeitet als bildende Künstlerin, gestaltet Plastiken, malt, fotografiert, schreibt und beherrscht wohl auch ein wenig die Lebenskunst. An einigen Ausstellungen hat sie bereits teilgenommen und es freut mich besonders, dass ich mit ihrer Erlaubnis hier einen Text mit Foto von ihr veröffentlichen kann.
Wie hineingewebt war ihr Blick durch den Store, den ihr Atem bewegte. Er hatte keine Falten, mit Stecknadeln fixiert, einfach aufgehängt an zwei Nägeln, fing er ihr Sehen durch sein Muster:
Die Hauswand, grün befühlt vom vielen Regen, den schmalen, gepflasterten Weg daran entlang. Nach ein paar Metern endete er vor einer Tür. Niemand ging auf ihm.So verlor sie sich in Gedanken.
Ein Hahn krähte nebenan.
Ihre Wimpern verfingen sich im Gewebe, f l a t t e r t e n, so als wollten sie fliegen.
Sie betrachtete das zuckende Licht in den Fenstern gegenüber, jemand sah fern. Für sie war es Blindsehen, erinnerte an Spiele unterm Tisch, an Skatabende ihrer Eltern mit den Nachbarn.
Wie mit etwas, wie im Traum, flog sie weiter hinein.
Der Wind zog durchs Zimmer, das mit Fenstern um sich herum sah. Ein Besen hatte sich an die Wand gelehnt, einer lag untüchtig am Boden.
Sie sah altes Mobiliar am Wegrand... Alles verkehrt herum, wie auf links angezogener Blick.
Tischflächen mit buntem Plastik bedeckt, das Schonungstuch mit Motiv ...und wie Wartende, die Holzstücke, in schwarzen Eimern zusammen gehalten, einst Baum.
Sie wollte hinein, da war sie hinaus.
Sie bewegte synchron ihre Lippen zur Lesung über Katzen und spitzte die Ohren,als trage sie Hut, schaute ein wenig scheinheilig an sich vorbei, hörte vor.
Lippengeformtes tonloses Wort, verschluckte sie und bekam ganz natürlich einen Schluckauf ...Hick.
"Sie müssen einfach nur zuhören", sagte Frau Tietze.
Vom Schutz umstellt, lief sie um die Parkbank herum, tat so, als öffnete sie Türen, ahmte typische Bewegungen im Raum.
Die Linse ihres Fotoapparates war beschlagen, simulierte Stimmungen, auf die sie nicht gewartet hätte. Sie löste aus.
Wir könnten bleiben, bis es schneit, sagte sie zu sich selbst und malte mit dem Finger auf die beschlagenen Fensterscheiben.
Im Unterstellhaus der fehlenden Wände wartete sie auf Bilder, die ihm erscheinen.
damals war der morgen einer von jenen die nicht ausgelaugt von der nacht mit verkohltem toast um sich warfen und hoffnungen in kaltem kaffee ertränkten
das licht der sonne kroch durch das fenster über die wand erreichte mich noch in der hintersten ecke ohne nach mir zu greifen und starb nicht gleich bei dem bob-dylan-poster
die einzigsten schatten geworfen von der rauhfaser-tapete auf sich selbst waren keine grenzen für meine träume sondern verdeckten allenfalls nur die grauen wände
ich glaubte die schattensymbole an den wänden nachzeichnen zu müssen um ihre gleichgültige abstraktion für den fall später eventuell auftretender erinnerung zu konservieren
ich kam mir schrecklich schlau vor - damals
später hörte ich mir amerikanische musik an fühlte mich dadurch irgendwie mit ihr verbunden weil es eine melodie war bei der sie einmal mitgesungen hatte als ich sie das erste mal im radio hörte
ich ging im zimmer auf und ab umrundete mich selbst in meiner finsteren ecke verfluchte buchhaltungen manchmal auch badminton-spielen und drehte den fernsehton vorzeitig ab um mir die schlußmusik von bonanza zu ersparen
es blieben nur noch wenige stunden zu zählen die noch fehlten an der vollzähligkeit des tages und ich sonnte mich in dem gefühl es wieder einmal geschafft zu haben ohne jedoch zu wissen wie lange noch
dann ging ich hinunter auf die straße lief in irgendeine richtung sah auf der anderen seite einen menschen auf dem boden liegen andere standen herum ich schaute verlegen zur seite ging weiter suchte mir einen anderen rückweg
ich kam mir unheimlich schlecht vor - später
an diesem abend _________________________________
an diesem abend war die dunkelheit dunkler als sonst der regen war der regen und das matte licht auf dem straßenpflaster war das blut der nacht und die einsamkeit war die einsamkeit
die atmosphäre in diesem zimmer bestand zum einen aus zigarettenrauch und zum anderen daraus daß es sie nicht gab
da war die alte kommode auf der die kerze stand deren flamme die decke dunkel färbte und deren wachs auf den boden tropfte und mit etwas fanthasie konnte man aus den gegenüberliegenden fenstern weihnachtsgesang hören
das bett schien ebenso zerwühlt wie unberührt schon drei mal die große wäsche übergangen mit brandflecken von zigaretten und wirkte zwischen blümchentapeten als tatsache gegeben und unabänderlich
deine worte hingen unter der grauen decke wie fledermäuse die im schlaf zuckten und meine ansichten waren karrikaturen an den wänden über die du lachtest
du hattest ja so recht aber ich verstand das nicht
später in der nacht schlugen sie vor dem fenster auf der straße jemanden zusammen und mit ihm die stille der nacht
unser beider stimmen waren heiser und nicht mehr die selben als es tag wurde und ich über leere gläser und volle aschenbecher stieg um alles zu vergessen
als ich hinaus in den morgen trat war die straße leer doch ich glaubte mich dort liegen zu sehen
ich floh zur nächsten telefonzelle um deine stimme zu hören und das durchatmen tat mir weh obwohl mir die luft an diesem morgen besonders rein erschien
an diesem morgen __________________________________
an diesem morgen verschlief der tag die ersten stunden und ich hatte die nacht schon vor ablauf der regulären zeit verlassen
unausgefüllt lagen einige stunden hinter mir ungewiss lagen einige jahre vor mir
nie hatte ich so schnell mein zimmer verlassen welches mir plötzlich fremd erschien sogar die fliege die mich in der nacht mit ihrem brummen störte war gestorben
zunächst bewegte ich mich wie eine marionette über die straße vorbei an dem kiosk wo sie über politik redeten und meine gedanken exerzierten noch im schutze der dunkelheit
das vergessen war schwer und es war kalt an diesem morgen
die sonne kletterte auf den wald am horizont verwandelte hochhäuser in schattenbilder und die luft vereist von der nacht taute langsam auf
dein mantel hing noch an meiner gardereobe du hattest ihn vergessen aber es war ein alter mantel und du würdest ihn wohl nicht mehr benötigen
an diesem morgen dem immer gefürchteten aber immer erwarteten fehltest du mir mehr als an allen anderen morgen vorher an denen du mir gefehlt hattest und - leider - wahrscheinlich auch mehr als an allen anderen morgen in der zukunft
und weil das so war erschien es mir besonders kalt an diesem morgen
abends steigt das licht auf die mauern der kirche, die stunden nähren sich mit sich selbst, die worte verirren sich in ihrer vielzahl und die alltäglichkeit stirbt an ihrter banalität.
an den fassaden der häuser hängen die willkommensgrüße für den erlöser und hinter den türen schläft das establishment.
in der unfähigkeit zu leben liegt nicht der tod, sondern lediglich das überleben. angst ist das privileg der denkenden und gefühle sind versteckt hinter polstergarnituren und in anbauschränken.
irgendwann schleicht sich der tag zwischen die gemäuer und der sturm, der im morgengrauen durch die straßen fegt, ist das große aufatmen.
an diesem tag wird es coca-cola regnen und micky-mouse und kulenkampff werden in die stadt marschieren und alle glauben noch immer an ein gesellschaftsspiel
(Foto: "Champagnerwiesen" Link: Ammersee)
begegnung am ostersonntag
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es ist wie ein undefinierbares ahnen, wie das erkennen einer wunschwahrheit durch milchglasvorurteile. wie das zusammenfügen ganzer sätze aus belanglos daher gesprochenen worten.
und es ist wie das experimentieren an den farblosen vorstellungen eines nie ausverkauften kleinstadttheaters.
eine in sand versunkene kristallzukunft, deren glitzern eine windrose ist, bis der stein der erkenntnis geworfen wird.
es ist die vergangene lektüre einer veralteten, vom wind über eine sumpfige wiese gewehten besserwisserzeitung.
es ist wie ein undefinierbares ahnen, das wie weiße striche auf überflogenem autobahnasphalt verloren geht, bevor es zum wissen wird.
der nicht funktionierende münztankautomat. eine bratwurst an einer imbissbude. zwei flaschen türkischen weines. ein federballspiel am sonntagnachmittag. der aus der ferne beobachtete wiesenspaziergang. die einladung zum abendessen. eine autofahrt. kartenspiele um ein paar groschen. ein paar blicke. belanglos klingende worte nach mitternacht, die es nicht sind. die letzte zigarette. ein paar gedanken. dieses lied...
(zur Begegnung mit Julie)
die dunkelheit ist ein klavier mit schwarzen tasten und der mond ist eine leselampe für die träume. es ist kalt hier draußen auf den feldern am waldrand und der wind, der über den flachen horizont weht, bringt die lichter von offenthal.
in mir brennt etwas und das ist gut so, jetzt in der inneren und äußeren kalten zeit. ich habe etwas angst davor, mich in dich zu verlieben und glaube zu wissen, dass es schon längst geschehen ist.
der boden ist gefroren, es wird keine spuren von mir geben, die luft ist klar und sticht ein wenig wie nadeln. da ist doch irgendwo noch eine sonne... mein gott, DA GIBT ES DOCH NOCH EINE SONNE!!! das leben ist schön, immer wenn ich traurig bin ist das leben schön.
jetzt auf diesem plateau am rande der wirklichkeit kommen die schlafenden sehnsüchte aus ihrem exil und tausend worte salutieren, keines zu viel und alle dennoch gesagt.
da findet doch noch etwas statt, dort wo das leben stattfindet ist krieg, natürlich wird es opfer geben, aber DA FINDET DOCH NOCH ETWAS STATT!
und der wind, der über den flachen horizont weht, bringt die lichter von offenthal. in den schatten lebt deine gegenwart, die weißen tasten im klavier der nacht. so etwas muss es geben, so etwas muss blühen, das ist unbegreiflich. da ist irgendwo noch so viel mehr, als ich begreifen kann.
(für Petra)
petra
petra, deine freunde sind so zahlreich wie die blätter auf dem teich. zu lebzeiten fliegen sie auf dich, zu überlebenszeiten ertrinken sie. hast du nicht verstanden sie zu halten oder haben sie nicht verstanden zu bleiben?
petra, du bist viel mehr als alle ahnen, doch manchmal fühlst du dich allein. deine wege musst du dir selber bahnen, doch nur so können es auch deine wege sein.
petra, unsere Zeit läuft parallel und die chancen sind auf unserer seite. das los der außenseiter ist es außen zu stehen, dort wo nicht den weiten blick versperrt. der weite blick - hast du dir schön manchmal überlegt, wie viel der wert ist?
petra, wenn du nur immer bei dir selber bleibst, bis du niemals mehr allein. wo ein traum zu ende geht, wird irgendwann platz für einen anderen sein.
Heimweg
Ich war bei dir und fahr nach Hause, der Tag ist alt und auf den Dächern sitzen schwarze Fragezeichen. Und wie jedes mal bin ich dann stumm allein mit den Gedanken, die sich immer wieder gleichen.
Dass es dich gibt ist ein Geschenk, nun gut, es kann schon sein, dass ich hier etwas übertreibe. Du regst mich auf, du regst mich an, verwirrst mich auch und sorgst dafür, dass ich endlich wieder schreibe.
Und der Moment, so kurz nach dir, wird riesengroß und wichtig, ja er ist mir heilig. Und die Zeit vergeht ja ohnehin von selbst, doch ich merke nichts davon denn ich hab´s nicht eilig.
Es fällt mir schwer mich jedes mal von dir so schnell zu lösen und zu gehen. Ein Sturz aus Wolken oder ein erwachen der Vernunft? Ich werde es wohl nie verstehen.
Kiosk am Wannsee/Berlin
"...sicher, eine Wunde heilt mit der Zeit, doch nicht, so lange das Messer noch darin steckt."